„Vorwärts Lemminge, die Flut ist gerade am Schönsten!“

Linz 96-7 altPrivatradio in Österreich im Jahr 2004: Kaum ein Sender schreibt schwarze Zahlen, Eigentümer erzählen interessierten Journalisten von baldigen Ausstiegen, finden freilich keine Käufer, mehr als hundert Millionen Euro lasten derzeit in Summe als Schulden auf den Privatradios: Das ist mehr, als Ö3 in einem Jahr als Werbung einnimmt.

In jeder normalen Branche würden sich potentielle Investoren voll Grauen abwenden und sich ein vernünftigeres Betätigungsfeld für ihr Kapital suchen: Selbst Eckzinssparen oder der gepflegte Casinobesuch sind aus der Erfahrung der letzten Jahre lohnende Alternativen.

Nicht so beim Radio: Mit einer wahren Flut an Anträgen kämpft derzeit die Komm Austria wenn neue Lizenzen ausgeschrieben werden:

Über 15 Bewerbungen in Linz – neuer Rekord

Und immerhin über 10 Bewerbungen in Innsbruck – für ein Versorgungsgebiet von gerade einmal 150.000 Hörern.

Das Medium Radio ist ein Bauchmedium. Haben uns unsere Berater beigebracht. Das gilt offenbar mehr für die Investoren als für die Hörer: Schaut man sich die Bewerbungen einmal genauer durch, dann steht das Prinzip Hoffnung im Vordergrund.

Aktuelle – aus Mitleid gegebüber KMU´s anonymisierte – Beispiele:

Bewerbung Baden: Ein Lokalsender mit 140.000 technischer Reichweite will immerhin 1/3 des Umsatzes des Wiener Marktführers, Radio Energy erreichen.

Bewerbung Linz: Hier will ein Beweber ähnlichen Umsatz machen wie Energy in Wien. Linz ist immerhin so groß wie Favoriten und Simmering.

Bewerbung Bregenz: Ein Bewerber will 4 Millionen Euro umsetzen, das liegt auch im Bereich eines sehr gut geführten Wiener Senders. Leider ist Bregenz kleiner als Meidling.

Diese Beispiele stammen von kleineren Personengesellschaften. Gut – könnte man meinen – die großen Ketten agieren da sicher professioneller. Mitnichten:

GWR Auftritt in Österreich war ein Desaster. Kein Problem, in Linz ist man wieder unter den Bewerbern

RTL Radio hat auf der 92,9 nicht nur ein mittleres Vermögen versenkt, sondern auch gleich der Marke RTL den Hauch des Unbesiegbaren gekostet.

Radio Energy in Wien wird im laufenden Geschäftsjahr vermutlich das erste Mal schwarze Zahlen schreiben: Genau wissen wir das aber erst im Herbst, am Ende des französischen Geschäftsjahres. Bislang ist sogar Radio Energy rot.

Na gut, die ausländischen Profis kennen eben unsere Marktgegebenheiten nicht – also lassen wir doch mal unsere eigenen Medienkonzerne ran. Auf die Nähe zum Hörer kommt´s an – sagen ja auch unsere Berater. Bitteschön:

Mediaprint: Verliert Geld bei KRONEHIT, HIT FM, Life Radio

Styria: Verliert Geld bei Antenne Steiermark, Antenne Kärnten und Radio Harmony. Weil´s nicht reicht, gibt´s noch eine eigene Servicegesellschaft, die RCA, die auch nicht gerade floriert.

MOIRA: Verliert Geld bei 88.6 (und das, eine Neuheit, praktisch ohne Mitarbeiter!), HIT FM

OÖ Landesverlag: Versenkt ein bisschen bei Life-Radio.

Fellner Bros: Versenken bei der Antenne zum zweiten Mal Geld, Wiederholungstäter ohne Motiv

Tiroler Tageszeitung: Auch im heiligen Land ist die Antenne rot.

Vorarlberg: Eugen Russ leistet sich nicht nur den Verlustbringer Antenne sondern auch noch – via Strohmänner – Arabella in Bregenz.

und last, but not least: Arabella Wien erkennt, dass trotz 30% mehr Quote als im Plan die Einnahmen weit unter Plan liegen – wer hätte das gedacht bei einem Sender für sozial schwache Rentner?

Alle die oben genannten Unternehmen – ob groß oder klein, ob Inland oder Ausland – werden von rationalen Menschen geführt und sind in ihrem Kerngeschäft meist erfolgreich. Bei österreichischem Privatradio schalten sie offenbar das Gehirn aus. Radio als Bauchmedium eben. Und weil nur die Wiederholung wirkt – auch das sagen uns die Berater – stürzt man sich gleich in neue Abenteuer, neuen Lizenzen, mit ein bisschen Kostenhandbremse – sprich: Massenkündigungen.

Das Grundproblem bleibt jedoch bestehen: Sobald jemand ins Radio investiert – und den Markt „mal so richtig aufrollt, dass es der Konkurrenz die Ohren anlegt, die müssen aus dem Fenster kotzen…“ – schaltet er das Hirn ab. Leidtragende sind einerseits Eigentümer an großen Unternehmen, die die leichtfertige Geldvernichtung ihres Managements nicht kontrollieren, andererseits Mitarbeiter, die glauben, dass die Sicherheit ihres Jobs von ihrer eigenen Leistung abhängt. Es herrscht beiderseits Vertrauen ins Management – bis es zu spät ist, dann kommt der nächste Guru. Normale Controlling Mechanismen, wie sie von General Electrics in den 80er Jahren eingeführt wurden und heute de-facto state of the art sind, weichen puren Glaubenskriegen.

Klar ist, dass nach der Gründerzeit eine Phase der Konsolidierung kommt. Komisch ist, dass das immer so ist und der Mensch so wenig dazulernt. Vorwärts Lemminge, die Flut ist gerade am Schönsten! Und irgendwann, wenn genug ertrunken sind, haben wir zwei nationale Privatradioketten und ein bisschen mehr in Ballungsräumen.

Falls das Finanzergebnis aus Altschulden bis dahin nicht beim doppelten des Betriebsergebnisses liegt. Das ist nach akueller Bilanz vermutlich gegen 2015. Und falls bis 2015 noch nicht jeder Österreicher einmal im Leben als Privatradioverkäufer gearbeitet hat. Das ist bei der aktuellen Rotation in allen Verkaufsteams wahrscheinlich.

Bis dahin Gratulation an alle, die mit Privatradio Geld verdienen:

– Die verbliebenen Mitarbeiter

– Die verbliebenen Berater

– immerwährende Behörden

– und natürlich ganz besonders an die Rechstanwälte:

Sie sind die Gewinner aller neuen Lizenz-Ausschreibungen.

(Vittorio Czernazke)