Jesco Dörk: Radioday 2004 – 10 Jahre Radioday

Radioday 2010Wenn überall in Köln-Deutz Schilder in Richtung der Messehalle 5 weisen, wenn selbst eingefleischte Düsseldorfer den Weg in die „befreundete“ Nachbarstadt nicht scheuen, und wenn auch aus entlegensten Ecken der Republik, sowie aus den benachbarten Beneluxstaaten Radiomacher und Werbetreibende zusammenströmen, dann kann dies alles eigentlich nur eines bedeuten: Es ist mal wieder Radio Day.

„Der Radio Day ist ein ganz besonderer Tag“ – so lautet der alljährlich wiederkehrende Slogan der Veranstalter RMS und ARD Werbung, mit dem auch jedes Einladungsschreiben beginnt. Und dieses Mal war es sogar ein ganz exorbitant besonderer Tag, denn man feierte nicht weniger als 10 Jahre Radio Day – 10 Jahre, in denen sich der Radio Day zur wohl wichtigsten deutschen Hörfunkmesse gemausert hat.

Zu diesem Jubiläum hatten der RMS und die ARD Funkwerbung eine Reihe von hochkarätigen Referenten für ihre Workshops anheuern können: Reinhard Springer von der renommierten Werbeagentur Springer & Jacobi, Dr. Sebastian Fitzek von Kreklau & Fitzek (die Firma, die u.a. 104,6 RTL Berlin berät), Dr. Bosshart von der GDI für Wirtschaft und Gesellschaft, Ralf Heuel von der Grabbarz & Partner Werbeagentur aus Hamburg und viele andere mehr.

RadioDayFeature2Reinhard Springer machte in engagierter Weise seinem Namen alle Ehre: Er sprang in die Luft, fuchtelte mit den Armen, schrie unvermittelt ins Mikrofon – eine Vortragsweise, die ansonsten eher von amerikanischen Predigern bekannt ist. Wie dem auch sei, in dem vollbesetzten Saal gab es so zumindest keinen, der auf seinem Stuhl einzudösen imstande war. Daher ist zu hoffen, dass einige der elementaren Botschaften Springers den Weg in das Ohr von Programmverantwortlichen zu finden vermochten, denn falsch war es keineswegs, was Springer da predigte.

Das Haupthindernis zum Erfolg sei die Gier, so Springer. Hört, hört, das klingt ja schon fast buddhistisch… Springer erläutert: Viele Radiosender haben zu hoch gesteckte, unrealistische Ziele, finden sich nicht mit ihrer Marktnische ab, sondern wollen ALLE Hörer in ihrem Einzugsgebiet erreichen, möglichst in der Altersgruppe von 5 bis 75. Also spielt der eigentlich als Jugendsender gedachte CHR-Sender auch ein bisschen Oldies, die Softpopwelle auch ein bisschen Rock und das AC-Format mischt noch ein bisschen Schlager und Volksmusik hinein. Motiviert durch die Gier nach mehr Hörern, mehr Einschaltquote und nach einer marktbeherrschenden Stellung (möglichst sogar Monopol) fischen viele Sender in fremden Gewässern, sprich fremden Formaten. Das führt zu den sattsam bekannten unsinnigen Formatbeschreibungen a la: „Die Top-Hits der 70er, 80er, 90er und das Beste von Heute“.

Heraus kommt ein undefinierter Einheitsbrei auf allen Kanälen, der als Ziel lediglich hat, möglichst vielen Menschen nicht „weh“ zu tun, als Hintergrundberieselung akzeptiert und eingeschaltet zu werden. Denn dies ist das Prinzip der Quote: Hauptsache, es wird eingeschaltet – ob der Hörerschaft das Gesendete wirklich etwas bedeutet, ist zweitrangig. Dass man auf diese Weise den Gedanken des Formatradios ad absurdum führt, liegt auf der Hand. Ist der Sinn von Radioformaten doch gerade eben der, dass man sich mit einem möglichst eng gesteckten Format von der Konkurrenz klar abgrenzt und eine klar definierte Zielgruppe optimal bedient. Markpsychologisch gesprochen ist dieses der Aufbau eines klaren Markenimages.

Für dieses plädierte Springer vehement; eine Rückkehr zum KERNGESCHÄFT sei bei vielen Firmen dringend erforderlich. Als Werbemann konkretisierte Springer diese These hauptsächlich anhand von Produktmarken, wie z.B. Volkswagen. Wenn VW heutzutage zunehmend andere Käuferschichten anzusprechen versucht, indem man mondäne, elegant designte, teure neue Modelle von der Art eines BMW herausbringt, so mag es zwar gelingen, BMW kurzfristig den ein oder anderen Kunden abzujagen, langfristig aber verliert VW damit sein klares, traditionelles, eng definiertes Image, das Image nämlich, das auch im Namen der Marke schon enthalten ist: Der Wagen fürs Volk.

Da Springer leider nur wenig von seinen allgemeinen Marktheorien speziell auf den Radiomarkt transferierte, bleibt nur zu hoffen, dass die versammelte Radioprominenz diesen geistigen Prozess selber durchzuführen bereit und imstande war. Auch Radiosender sind schließlich eine Marke mit einem eng definierten Image… zumindest sollten sie es sein! Radiosender, die ihr Format in alle Richtungen „erweitern“, um auch andere Zielgruppen anzusprechen, bewirken letztendlich nichts anderes als sich selbst austauschbar und verwechselbar zu machen und ihr Markenimage zu verwässern. Insgesamt bot Springer einen interessanten, nachdenkenswerten Vortrag mit vielen gut begründeten und an konkreten Bespielen belegten Argumenten.

Weniger Phantasie bewiesen leider Patrick Langeslag und Wilbert Hirsch. Auf geradezu paradoxe Weise priesen sie einerseits die Wirksamkeit von akustischem Branding, welches – immer diese Platitüden – Bilder im Kopf entstehen lasse, während sie andererseits ausschließlich visuelle Beispiele vom Videoprojektor zeigten, bei denen die Musik lediglich eine sekundäre Rolle spielte. Sinnvoller wäre es bei einem Vortrag über acoustic branding gewesen, den Videoprojektor im Regal stehen zu lassen um ausschließlich akustische Beispiele zu demonstrieren und zu erläutern.

Allzu banal auch die Ausführungen der Referenten: Dass Musik vielfältige Gefühle erzeugen kann… nun ja, wem wäre diese Erkenntnis wohl neu gewesen? Von Interesse ist nun eben die Frage nach dem „WIE“ und man hätte sich eher den Einblick in die Trickkiste eines erfahrenen Sounddesigners gewünscht. Offenkundig eine zu hohe Erwartungshaltung…

Einen interessanteren Einblick in die konkrete Arbeit im Bereich Sounddesign bot ein Vortrag von Dirk Reichardt, dem Gründer der jungen deutschen Jinglefirma JAM X MUSIC. Anhand von vielen akustischen Beispielen schilderte man das Konzept des „Bausteinkasten“, das ähnlich wie Top Formats „Construction Kit“ darauf basiert, den Radiostationen kein unveränderliches festes Jinglepaket anzubieten, sondern einen riesigen Fundus von Elementen, die in den Produktionsstudios der Sender zu immer neuen Variationen zusammengefügt werden können. Im Gespräch mit RADIO JOURNAL erläuterte Reichardt, dass nicht nur die fast unbegrenzte Anzahl der Variationen einen Vorteil bietet, sondern auch die Möglichkeit, nachträgliche Änderungen der Instrumentierung einzufügen. So könnte ein Radiosender, der sein Format von Hot AC auf Rock umstellt, bei JAM X einfach ein kleines Update bestellen, bei dem einige Elemente mit anderer Instrumentierung, z.B. harter E-Gitarre, neu produziert werden, während die basic cuts gleich bleiben. Somit ist der Sender nicht gezwungen, bei einer Formatänderung gleich ein neues Jinglepaket zu bestellen – gerade für kleinere Stationen ein nicht zu unterschätzender Preisvorteil. Zu den Kunden von JAM X MUSIC gehört u.a. schon seit vielen Jahren der erfolgreiche Sender RSH.

Über die Workshops und Vorträge hinaus war der Radioday in erster Linie ein Treffpunkt zum zwanglosen, persönlichen Austausch. Im Vergleich zu früheren Jahren gab es leider nur noch sehr wenig Stände; kaum waren einzelne Radiosender vertreten, sondern fast nur noch sogenannte Funk-Kombis, in denen sich mehrere Radiosender zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ihre Werbezeiten zu vermarkten. Sonderlich kreativ war man bei den wenigen Aktionen nicht, es handelte sich hauptsächlich um Gewinnspiele und Verlosungen. Naja, das Kreativitätsniveau entsprach damit ziemlich exakt dem der meisten Radioprogramme. Schade eigentlich, denn es hätte viele Möglichkeiten gegeben, auf interessantere Weise auf sich aufmerksam zu machen, z.B. hätte man Sendungen live (oder aufgezeichnet) von der Messe präsentieren können. Schließlich sollte man als Aussteller doch eine Messe dazu nutzen, sich als Sender oder Firma vorzustellen.

Was blieb war also primär das persönliche Gespräch in der Radio-Lounge. Hier ergaben sich viele hochinteressante Gespräche und neue Kontakte. So verriet die aus dem holländischen Geldrop angereiste Ellen Pors, ihres Zeichens Besitzerin der bekannten Jinglefirma PORS IMPACT CREATIVE, dass man seit neuestem in Westholland einen eigenen Radiosender betreibt, nämlich den CHR-Dance-Sender X-FM. Wer dafür das Jinglepaket produziert hat, ist wohl nicht schwer zu erraten… Anwesend war auch die deutsche PORS-Vertretung, die früher auch Top Format vermarktet hat, ALL AUDIO (früher Bunt Medienberatung), bestehend aus Michael Hassinger und Volker Pietzsch. Beschäftigt ist man zur Zeit hauptsächlich mit Klangproduktionen (nicht nur Jingles und Werbespots, sondern z.B. auch Dokumentationen und andere Sprach-/Musikaufnahmen). Das eigene Internetradioprojekt ECHT RADIO ist inzwischen – wie so viele andere reine Internetradios auch – eingeschlafen.

radiodayfeature1Ad Roland hatte ein aufmerksames Publikum um sich geschart, als er auf der abendlichen Radio-Party Anekdoten aus seiner Radiolaufbahn zum besten gab. Der Grandseigneur des Radios, der auch heute noch bei vielen Radioprojekten in Holland und Deutschland als Berater mitmischt, erinnerte sich an alte Seesender-Zeiten als er bei Radio Mi Amigo / Caroline unter dem Namen Ad Roberts moderierte, während er gleichzeitig noch im offiziellen Rundfunk auf der TROS moderierte. Ein Problem war diese Doppelbeschäftigung seinerzeit nicht, da Mi Amigo außerhalb von Holland operierte. Für deutsche Verhältnisse dennoch unvorstellbar, dass etwa ein Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Wissen seines Arbeitgebers auch beim Piratenfunk Sendungen macht. Die Holländer schienen da immer schon liberaler und lockerer zu sein. Woraus sich die Frage ergab, warum niederländische DJs auch heute noch in aller Regel um ein Vielfaches besser sind als die deutschen. Ist es nur die ganz andere Radio-Tradition eines Landes, das Privatradio seit den frühen 60er Jahren kennt und wäre in Deutschland vielleicht alles ganz anders, wenn Radio Nordsee International seinerzeit tatsächlich vor der deutschen Küste mit einem rein deutschsprachigen Programm gestartet wäre? Oder sind es vielmehr die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Holländern, ist es die größere Spontaneität und Lockerheit der niederländischen Nachbarn? Eine interessante Diskussion ergab sich. Vieles spricht für das Argument der längeren Radiotradion, wenn man z.B. bedenkt, dass fast alle großen Privatsender in den Niederlanden von erfahrenen Piratenköpfen geleitet werden. In Deutschland hingegen hatten seit jeher Zeitungsverleger bei den meisten Privatradios das Sagen. Die erfolgreicheren Privatsender Deutschlands zeichneten sich immer schon dadurch aus, dass sie sich Anregungen aus dem höher entwickelten Ausland holten. So wurde der erste landesweite Privatsender RSH eben von jenem Ad Roland beraten und möglicherweise vor allem deshalb ein erfolgreiches Projekt.

RadioDayFeature4Gegen 22 Uhr war es mit Diskussionen und Fachsimpeleien dann endgültig vorbei, als die Party begann. Nach einem kurzen Comedy-Auftritt von Richy betrat dann Dick Brave mit seiner Band „Backbeats“ die Bühne und fetzte vom ersten Augenblick an richtig los. Eigene Lieder hatte er zwar nicht in seinem Repertoire, aber viele gute Rockabilly- und Rock´n Roll-Hits der 50er. Die gute Show, die der eigentlich unter dem Namen Sascha bekannte Sänger bot, sorgte für einen sehr gelungen Ausklang des diesjährigen RadioDay.

JescoDoerkJesco Dörk, Radio Journal