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„Radio ohne Persönlichkeiten ist wie Porno ohne Sex“

„Radio ohne Persönlichkeiten ist wie Porno ohne Sex“ oder:
„Warum das heutige Radio langweilig geworden ist“

Ein Feature von Wolf-Dieter Roth

wdr fuer pa„Der alte Ami“ und „Dörti Dani“ gegen das McDonalds-Radio mit Frühstückswitzen vom Band: Die Radiolegende Rik De Lisle und andere Radiomacher Deutschlands wünschen sich größtenteils wieder mehr Ecken und Kanten im Programm.

Rik De Lisle ist Berlinern als „der alte Ami“ bekannt, der seine Radiokarriere 1968 bei KTFM in San Antonio, Texas begann und dann jahrelang beim AFN in Portugal, Südostasien und Deutschland auflegte, beim AFN Berlin heimisch wurde, 1977 als „European Presenter of the Year“ ausgezeichnet wurde und ab 1984 beim RIAS Berlin weitermachte. Außerhalb Berlins war der RIAS zwar trotz Mittelwellenausstrahlung auch im Westen Deutschlands wegen der zahlreichen, über die ganze DDR verstreuten Störsender nur selten ungestört empfangbar und für Musikgenuss völlig ungeeignet, doch spätestens mit den Ansagen auf der Spliff Radio Show, der ersten Platte der Nina Hagen Band ohne die davon gelaufene Nina Hagen, wurde Rik De Lisle in ganz Deutschland bekannt. AFN-Hörer konnten außerdem deutschlandweit jahrelang „Old Gold retold“ genießen, das mit dem legendären Spruch endete: I’m Air Force Seargeant Rik De Lisle – reminding you, that Rock’n Roll is just a state of mind. Die Medientage 2004 zeigten Mut und luden ihn und andere Radiomacher auf ein Podium, um gegen die Misere des Dudelfunks anzutönen.

„Radio ist 150% vorbereiten, 100% rauswerfen und 50% hinzufügen“ (Rik De Lisle)

Heute ist Rik De Lisle Direktor Europa bei der Radioberatungsfirma Alan Burns & Associates und hat eine knapp dreistündige Sendung beim Berliner Stadtsender des öffentlich-rechtlichen Senders Radio Berlin-Brandenburg. Beim 1993 zum Privatsender mit dem unaussprechlichen Namen Vierundneunzig Apostroph Drei R Punkt S Punkt Zwei ( 94’3 r.s.2) gewandelten RIAS haben Burns und de Lisle dagegen trotz großer Erfolge heute nichts mehr zu melden.

„In Deutschland neigt man dazu, Dinge zu verkomplizieren – seine Arbeit muss man mit Leidenschaft tun!“ (Rik De Lisle)

Rik De Lisle ist einer jener wenigen verbliebenen, noch im Radio aktiven Alt-DJs mit eigener Musikkenntnis und eigenem Format im deutschen Radio, eben eine Persönlichkeit. Das jedoch liegt nicht daran, dass heutige Radiomoderatoren per se nichts vom Radio verstehen. Vielmehr wird nach einer nur kurzen Phase Lebendigkeit nach Einführung des privaten Rundfunks mittlerweile seit Jahren Stromlinienförmigkeit gelehrt und verlangt, in der selbst die Witze und Aktionen („das geheimnisvolle Geräusch“) landesweit die Gleichen sind, auch wenn keine landesweiten Privatprogramme zugelassen sind und so in jedem Dorf dieselbe Suppe gekocht wird.

"Der alte Ami" Rik De Lisle und "Dirty Dani" Daniela Steinitz (Bild: W.D. Roth)
„Der alte Ami“ Rik De Lisle und „Dört Dani“ Daniela Steinitz (Bild: W.D. Roth)

Einst war beispielsweise die bayrische öffentlich-rechtliche Autofahrerwelle Bayern 3 bei ihrem Start in den 70ern eine reine Abspielstation von zuvor von Technikern in der gewünschten Reihenfolge auf Band aufgenommenen Platten, weil schon der Gedanke, dass eine Platte live abgespielt wird und dabei vielleicht einmal „on air“ hängen bleibt, für die Rundfunkmächtigen völlig undenkbar war. Die Musiktitel wurden von Musikredakteuren ausgewählt, wobei es im Fall Bayern 3 meist eingejazzte Coverversionen waren – man ging davon aus, dass die Original-Hits die Autofahrer viel zu sehr aufregen würden. Die meisten Hörer machte jedoch das ewige Jazz-Gefiedel verrückt und man nahm es nur genervt hin, weil man glaubte, den bayrischen Rundfunk käme das Abspielen der Originalplatten zu teuer und die schlechten Kopien seien billiger. Dann durfte ein Techniker alle halbe Stunde das Band stoppen, ein sogenannter „Stationsansager“ die bereits gelaufenen Musiktitel, die nächsten geplanten Titel und den Verkehrsfunk vom Blatt ansagen und dann dem Techniker durch die Glasscheibe ein Handzeichen geben, um das Band wieder zu starten. Zwar bekam er dafür mehr Geld als die meisten Moderatoren heute, doch das Programm klang natürlich ebenso öde wie diese Beschreibung.

Dann kam ein junger Mann und zog in seinen Ansagen die damals gespielten dümmlichen Schlagertitel durch den Kakao. Statt der Kündigung bekam dieser Witzbold jedoch eine eigene Sendung namens „Disco 2“ von zweimal einer halben Stunde Dienstag und Donnerstag Abend im damals jugendorientierteren Bayern 2 und ein halbes Jahr später die Sendung „Pop nach 8“ auf Bayern 3. Sein Name: Thomas Gottschalk.

Doch auch „Thommy“ wurde das Beamtentum des Senders irgendwann zu unangenehm; außerdem zog er leider die bessere Bezahlung und Berühmtheit des Fernsehens dem Radio vor. Die Freiheit jener Tage, die auch mit dem Start des Privatradios in diesem startete, ging über die Jahre dagegen wieder verloren: Zwar werden heute keine Bänder mehr angesagt, die Musik kommt stattdessen „live“ aus dem Computer und der Moderator meldet sich nach jedem Titel zu Wort und nicht nur einmal alle halbe Stunde. Dafür ist ihm praktisch jedes Wort vorgeschrieben, von der Stationsansage, dem „Claim“ („Radio Hühnerhugo mit den besten Hits der 70er, 80er und 90er, von allem etwas, aber für niemand genug“) über die Witze und das Wetter bis zum Verkehr. Die Musikauswahl wiederum ist längst nicht mehr Sache des Moderators; sie ging an die Musikredakteure zurück, die nun mit Hilfe des Computers eine durchgängige Musiksoße über alle Sendungen kippen. Die „Formatuhr“ schreibt dabei beispielsweise vor, dass die Stunde mit einem aktuellen Hit beginnt, gefolgt von einem B-Hit und einem Oldie.

"30 Jahre Bayern 3" – ein verklärter, aber lesenswerter Blick zurück bis auf die Beamten-Ahnen der Dudelfunker
„30 Jahre Bayern 3“ – ein verklärter, aber lesenswerter Blick zurück bis auf die Beamten-Ahnen der Dudelfunker

Der Sinn dieses „McDonalds-Radios“: Der Sender soll immer gleich klingen, egal wann man einschaltet und wer hinter dem Mikrofon sitzt – im Gegensatz zu den Programmen der 70er und 80er, als man genau dann einschaltete, wenn der Lieblings-DJ am Mikrofon saß und bei anderen Plattenauflegern, die mit dem persönlichen Geschmack inkompatibel waren, sofort abschaltete. Solchen Individualismus will sich das heutige Radio nun nicht mehr leisten, die Quote könnte ja sinken, die man gerade dadurch den ganzen Tag hoch halten will, dass das Radio möglichst unauffällig in der Ecke vor sich hin dudelt. Jede Persönlichkeit („schon wieder dieser …. !“) stört da.

Doch ist selbst dem dümmsten Programmleiter aufgegangen, dass die Hörer nun nicht etwa durchgehend ein-, sondern vielmehr durchgehend abschalten (Stoppt den Dudel)! Deshalb sucht man nun doch wieder nach „Persönlichkeiten“, insbesondere für die Morgensendungen: Während am Abend bei den meisten Fernsehen längst Radio ersetzt hat – ein „Pop nach 8“ hätte deshalb heute seine Probleme – und das Radio tagsüber nur als Küchen- oder Büro-Hintergrundgedudel läuft, lassen sich die Deutschen doch eher von einem Radiowecker als einem Frühstücksfernseher wecken. Mancher Programmmacher würde sogar am liebsten nach 10 Uhr zur Kostenersparnis alle Mitarbeiter heim schicken und ein Band einlegen: Der Tag ist für das Radio bereits nach dem Morgen gelaufen.

Als Morgenspezialisten fanden sich nun zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten auf der Bühne wieder: Einerseits John Ment, stellvertretender Programmchef und seit Jahren Morgenmann von Radio Hamburg, der seine Sendungen, Ansagen und Gags komplett vorausplant, andererseits „Dirty Dani“, früher KISS, nun 89.0 RTL, die als „großklappige Frau aus dem Wedding“ nach einer durchfeierten Nacht mit ihrer Berliner Schnauze schon einmal krächzend vor dem Mikrofon erscheint und die Hörer an ihrem desolaten Zustand teilnehmen lässt, so dass diesen die eigene Müdigkeit gleich nur noch halb so schlimm vorkommt. John Ment wiederum begann bei der Hansawelle von Radio Bremen und ist nun bereits 18 Jahre bei Radio Hamburg und 12 Jahre in der „Morningshow“. Bei ihm bleibt nichts dem Zufall überlassen, jeder Gag und auch die Zeitansagen – mit Ausnahme der eigentlichen Uhrzeit natürlich – sind vorher niedergeschrieben und einstudiert, ebenso sein Spruch, der zur Überschrift dieses Textes wurde oder jener, in dem er sich als vermeintlicher Bordelltester outete:

„Danke für die Einladung, ich habe extra meine Tagesplanung geändert, denn eigentlich wollte ich ja heute auf dem Kiez meine Treuepunkte einlösen!“ (John Ment)

Doch pünktlich zur Morningshow ist der Gag-Planer wieder in Hamburg, besteht auf einer disziplinierten Vor- und Nachbereitung 20 Minuten vor und nach der Sendung und wird noch all die Gags, die er auf der Veranstaltung nicht los wurde – er konnte nur ein Drittel unterbringen, wie er Telepolis verriet – auf die an ihn gewöhnten Hörer loslassen.

"Wollen Sie jeden Morgen neben einem Unbekannten aufwachen?": John Ment (Bild: W.D. Roth)
„Wollen Sie jeden Morgen neben einem Unbekannten aufwachen?“: John Ment (Bild: W.D. Roth)

Thomas Bug, einerseits Moderator bei „Eins Live“ des westdeutschen Rundfunks, andererseits gleichzeitig auch Geschäftsführer einer eigenen Agentur, somit selbstständig und Konkurrent des öffentlich-rechtlichen Senders, präsentiert auf seiner Website zwar stolz die Tätigkeit als Juror in „Deutschland sucht den Superbug“, vor dem Publikum der Medientage war ihm jedoch dieser „Job“ sympathischerweise plötzlich peinlich: „Tut mir leid“. Er fühlte sich im Radio nur bei öffentlich-rechtlichen Sendern wohl – mit einer kurzen Rolle bei einem hessischen Privatsender „war dieser überfordert“.

„Ohne Rückendeckung der Programmleitung ist keine Personality möglich“ (Thomas Bug)

Bug ist ein Gegner jeglicher Planung („Als Moderator wird man gefunden – selber suchen kann man nicht“) wie auch der „Witzplanung“:

„Es muss auch mal normal sein, nicht noch ein Witz und noch ein Witz, lieber mal was mangels Vorbereitung gegen die Wand fahren“ (Thomas Bug)

Peter Escher war gerade vom mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig von einer Sendung entbunden worden: Er hatte jeden Mittwoch eine Schlagersendung für Hörer über 50 im Radio moderiert („Radiomarkt“) und in diese teils eigene private CDs eingeschmuggelt („wenn es schon Howard Carpendale sein muss, dann doch wenigstens nicht Hello again“), weil ihm die vorgegebenen Titel nicht zusagten. Das war nun nach acht Jahren aufgeflogen und hatte zur fristlosen Kündigung geführt. Doch dies nahm Escher dem Sender nicht krumm:

„Bei einem privaten Sender wäre ich dafür sofort geflogen und nicht erst nach acht Jahren“ (Peter Escher)

Dass Escher hier so großzügig ist, hat natürlich auch damit zu tun, dass er beim mitteldeutschen Rundfunk nicht nur Radiomoderator ist, sondern auch noch Anchorman im mitteldeutschen Fernsehen mit bereits über 400 gelaufenen Sendungen. Und – was er Telepolis erst nach der Veranstaltung verriet, nachdem ihn das Publikum für den Rausschmiss genug bedauert hatte: Er musste schon wieder eiligst zurück nach Leipzig, um 20 Uhr eine neue Sendung machen, für die ihn eine andere Abteilung des Senders frisch angeheuert hatte. Hoffentlich diesmal mit einer Musikauswahl, die er nicht erst durch eigene Zutaten genießbar machen muss und Ansagen, die qualifizierter sind als die ziemlich dummyige Moderatorenvorstellung seines Senders. Im Februar hatte er auch ein ihm nicht genehmes Politformat freiwillig abgegeben.

Trotz des Schlagerdebakels hat Escher eine Pop-Historie: Er begann sich mit 10 Jahren für Westradio zu interessieren, hörte ab 1967 „SF Beat“, RIAS „Treffpunkt“, „Lord Knut“ und Gregor Rottschalk sowie Radio Luxemburg mit Camillo Felgen und Frank Elstner. Dann moderierte er 10 Jahre beim DDR-Radio, stieg aber 1985 beim „Ostfunk“ wegen der ihm widerstrebenden „roten Nachrichten“ aus, flüchtete über Ungarn in den Westen und kam bei Radio Primavera sofort wieder unter. Seine Verbesserungsvorschläge für das Radio:

Bild 2

Der Moderator soll kein „perfekter Techniker mit Durchsagefunktion“ sein. Allerdings stehe da beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Zweiteilung in „Ansage“ und „Erweiterte Ansage“ im Weg, so Escher: Für die „erweiterte Ansage“, also nicht nur Ablesen vom Blatt, sondern Einbringen eigener Elemente ist ein höherer Tarif fällig. Wird dieser nicht gezahlt – was meistens der Fall ist – gäbe es bei vielen Ansagern auch nur „Ansage nach Vorschrift“. Außerdem sollte Radio weniger süßen Klangbrei bringen:

„Bitte, bitte frische Nahrung, kein Instantpulver aus der Mikrowelle“ (Peter Escher)

Gut gemacht hat es nach Eschers Ansicht der Talkradiomoderator Howard Stern, der „mit der Hand in der Hose moderiert“, so Escher, und nun mit 50 Jahren noch eine Karriere im Satellitenradio hinlegt, nachdem seine Show bei Clearchannel wegen „ungeeigneter Wort- und Themenwahl“ und daraus folgenden FCC-Beschwerden rausgeflogen war – wovon auch Eric Idle von Monty Python ein Lied singen kann.

Sirius_Stern

Helmut Lehnert, Wellenchef bei Radio Eins, klagte über Hörer und Kollegen und zog Fußballparallelen:

„Die Radiomanager haben alle keinen Rock’n Roll im Arsch. Es gibt viele Leute da draußen, die mit 25 fertig sind, sich bei Ikea eine Einrichtung kaufen und fortan darin leben. Die sind langweilig. Ich habe 40 Modertoren,die sind stinkeitel, glauben die Größten zu sein, das ist wie eine Bayernmannschaft!“ (Helmut Lehnert, Radio Eins, Potsdam)

Absurd dabei, dass Radio Eins ebenso wie Antenne Brandenburg und Berlin 88 Acht absichtlich typische Privatsendernamen benutzt und damit von deren Ruf profitiert – so will sich Antenne Brandenburg klar in eine Reihe mit den Privatsendern Antenne Thüringen und eben Antenne Bayern stellen. Wie auch bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern legt man zwar viel Wert auf die Exklusivität des eigenen Namens und befindet sich deshalb auch in einem Rechtsstreit mit der RBB GmbH & Co. KG, hat dann aber Angst, nicht mehr gehört zu werden, wenn man sich klar als gebührenfinanzierter Sender zu erkennen gibt. Dabei sind Namen wie „Radio Eins“ (einst ein Münchner Privatsender) oder „Antenne Bayern“ gerade entstanden, weil der bayrische Rundfunk die ursprünglich geplanten Stationsnamen wie „Radio Bayern“ per einstweiliger Verfügung als zu verwechslungsträchtig mit seinen eigenen Stationen („Radio München“, „Radio Nürnberg“) untersagen ließ.

Etwas aus dem Rahmen dieser Personalities und Personality-Befürworter fielen Valerie Weber, seit drei Monaten Programmdirektorin von Antenne Bayern und Tom Adams, ebenfalls Programmdirektor und außerdem Geschäftsführer von Sky Radio Hessen. Weber war einst Moderatorin bei kleinen Lokalstationen, als Antenne Bayern mit vom Fernsehen bekannten Stars wie Tommy Ohrner und Michael Schanze startete, wogegen man mit eigener Personality nie hätte anstinken können und deshalb den Schwerpunkt auf die Musikauswahl legte. Sky Radio hat über 18 UKW-Frequenzen und einen Satellitenkanal – daher derName – und präsentiert als besonders herausragendes Unterscheidungsmerkmal von anderen Sendern wieder einmal ausgerechnet „das geheimnisvolle Geräusch“. Moderatoren hat Sky Radio dagegen generell nicht, stattdessen wird für die Quasselmüden Nonstop Musik gesendet. Allerdings nicht nur: eine eigene Redaktion mit fünf Journalisten sorgt noch für weitere Geräusche, die nicht geheimnisvoll sondern informativ sind. In den Niederlanden ist Sky Radio mit 10 landesweiten, 15 regionalen und 400 lokalen Sendern Marktführer, ebenso in Dänemark.

XPLR: MEDIA Radio-Report