Feature: Stephan und die Ohren der Wiener

halfpap wien previewErst machte er in Deutschland Radio, dann beriet er in Österreich Radiomacher und seit zwei Jahren beschallt der Bayer als Programmchef von Radio Wien die Ohren der Hauptstädter: Stephan Halfpap, der sich als Spielwiese just den am härtesten umkämpften Radiomarkt des Landes ausgewählt hat.

Als Halfpap 2003 das Chefbüro des Senders übernahm, hatte die ORF-Station ,Radio Wien‘ ein wenig das Image eines Tante Emma-Ladens. Es gab von allem etwas aber nie so viel, um damit die grosse Party auszurichten. Mit den grossen Hunden, sprich Ö3, pinkeln zu gehen hätte bedeutet die gleichen Format-Bäume zu benützen, aber die waren vom Marktführer aus dem eigenen Haus schon markiert und die Reviergrenzen waren deutlich gezogen. Die Schlagerecke wiederum war stets eine Domäne der nach Wien sendenden Niederösterreicher und Burgenländer sowie der privaten Konkurrenz ,Radio Arabella‘. Dem Stadtradio blieb somit Oldiebased AC, was nach den üblichen Rezepten im Radio bedeuten würde wie „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“. ,Würde‘, wenn die seit Jahren eingeschliffen Regeln des Radiomachens im deutschsprachigen Raum zur Geltung kämen, die sich in den üblichen ,Style-Books‘ (das nahezu jeder Senderchef einem neuen Mitarbeiter in die Hand drückt) nachlesen lassen. Sprich enge Zielansprachen in der Moderation, Jingledreschen und ähnliches.

,Damit haben wir gleich mal Schluss gemacht‘, erzählt Halfpap. ,Ein Style-Book gibt’s bei Radio Wien nicht mehr. Hier soll jeder Moderator selbst entscheiden wann er welchen Jingle spielt oder ob der Slogan jetzt passt oder nicht und wir verzichten auch auf Titeltests‘. Na Bumm! Kein gnadenloses, dem Diktat der Regelmässigkeit folgendes Durchpeitschen mehr der Jingles? Kein kreativtötendes Musikresearch mehr mit gehobenen und gesenkten Daumen einer Testhörergrupe? Ja, darf das der Halfpap überhaupt?

Die Megastaumeldung als Climax

Man darf, wenn man seinem Daumen und der Zahl Pi traut und das ganze multipliziert. Pi mal Daumen, der Situation angepasst und siehe da, es funktioniert. Es funktioniert genauso wie der erhöhte Wortanteil, der Weg zurück aus der Fläche hin zu einzelnen Sendungen mit denen erwachsene Menschen im übrigen auch durchaus klar kommen, denn 40 Jahre Rundfunkmonopol hatten auch ihre guten Seiten.

Die Enge des Korsetts, das Durchorganisieren eines im Grunde sehr lebendigen, spontanen Mediums hat dem Radio in den vergangenen 10 Jahren seine Vitalität genommen. Die Stimme aus dem Lautsprecher zurückreduziert zum Witzetransporteur mit der Megastaumeldung als Climax.

Wenn nun Radio Wien seit einiger Zeit der Fläche wieder Ecken und Kanten einfräst, dann bleibt das nicht unbeobachtet und hoppla, der Hörer beginnt wieder zu reagieren. Auch ohne das Geschenkfüllhorn über ihm zu leeren. Es weht ein Hauch von Authentizität.

Auf einmal werden Sendungen wieder zum Gespräch und in Sendungen wird wieder richtig gesprochen! ,Talk Radio‘ hatte man im deutschsprachigen Raum jede erntshafte Bewährungsprobe versagt. ,Funktioniert nicht‘ hat’s geheissen, aber wieso rufen dann jede Menge Menschen an wenn der Glatzkopf und Musicalsänger Alexander Göbel jeden Mittwoch von 19 bis 22 Uhr dazu aufruft, sich über ein bestimmtes Thema zu äussern. Das ,Hundstrümmerl‘ beispielsweise, schön und geruchsintensiv zwischen den Rillen der Schuhsohlen verschmiert, ein Thema für’s Radio? Und wie. Da gehen die Wogen hoch, da wird gestritten und bejaht (,Mein Hund soll sein Geschäft machen wo er will‘) und dazwischen geigen AC/DC ,Highway To Hell‘. Zeitlimit zum diskutieren gibt’s keines.

Stephan Halfpap, Radio Wien. Auf Titeltests verzichtet.
Stephan Halfpap, Radio Wien. Auf Titeltests verzichtet.

Die Dramaturgie muss passen

,Die Dramaturgie muss passen‘ sagt Halfpap und schon die Erwähnung des Wortes ,Dramaturgie‘ im Zusammenhang mit Radio ist ein seltenes Erlebnis.

Neue Sachen ausprobieren, als einziger Stephan Gwildis spielen, den Künstler als einziger Sender einer grossen Öffentlichkeit präsentieren und sich freuen dass der Hörer reagiert und die in Kooperation mit der Plattenfirma organisierten Gigs jede Menge Leute in die Konzerthalle ziehen. ,Damit kann man schon etwas gewinnen und es steigt die Hoffnung dass es nicht so ist, wie sich die meisten Radiomacher mittlerweile selbst einreden, dass nämlich Radio ein Mitnahmemedium geworden ist, dass nebenbei gehört wird‘, so Halfpap, der im Grunde das Rad nicht neu erfunden hat, aber nach dem Blick in den Rückspiegel bei Radio Wien die Reifen wechseln liess. Dazu braucht es Mut und Durchhaltevermögen, die Nerven nicht gleich wegschmeissen wenn der Reichweitenerfolg nicht über Nacht explodiert, sondern sich schrittweise einstellt.

,Wir sind ja auch keine Revoluzzer, aber man sieht, dass selbst wenn man nur einiges verändert es reicht und die ganze Branche drüber spricht. Wenn das dann noch konstant passiert, kommt es logischerweise zur Hörerbindung und zur Produktentwicklung‘, meint der Ex-Berater und jetzige Programmchef.

Hat die Austauschbarkeit der Sender möglicherweise mit den von Beratern verordneten Rezept-Schablonen zu tun? Dazu Halfpap: ,Man kann es keinem Berater verübeln dass er ein einmal funktionierendes Konzept immer wieder anwendet. Hat man seinen Stil als Berater gefunden, kommt man natürlich schwer wieder davon weg. Das ist wie bei einem Musiker, aber das eigentliche Problem hat ja seine Wurzel darin, dass sich die Senderchefs in vielen Fällen ausschliesslich auf die Meinung des Beraters stützen, um sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen, denn beim Quoteneinbruch war es ja dann der Berater. Richtig wäre es, wenn der Berater stets nur unterstützend wirkt. Er sollte nie das Kommando übernehmen‘. Ausser: Er wechselt offiziell die Seite des Tisches, weiss, wo seine Daumen sind und traut sich alles mit der Zahl Pi zu multiplizieren.


Andy Zahradnik, Der Musikmarkt

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Radio Wien