Dorothee Seyser: Im Formatradio ist die Erfahrung von Musikredakteuren entscheidend

antenne 1-90er-webchannelWas zeichnet die drei großen privaten baden-württembergischen Regionalwellen Radio Regenbogen (westliche Landesteile), Hitradio antenne 1 (mittlere Landesteile) und Radio 7 (östliche Landesteile) aus? Nun, zum einen behaupten sie sich seit Jahrzehnten in ihren Senderäumen erfolgreich gegen eine bestens aufgestellte öffentlich-rechtliche Programmflotte des Südwestrundfunks sowie gegenüber einer guten Zahl an lokalen Angeboten wie Radio Ton, HITRADIO OHR oder DIE NEUE 107.7. Die knallharte Marktlage – wer hat schon gerne ein Premium-Angebot wie SWR3 als direkten Konkurrenten – zwingt die Regionalsender zu einem ständigen Wettbewerb auf höchstem Niveau. Nahraumberichterstattung sowie konsequent auf die Zielgruppe zugeschnittene Musikprogramme sind folgerichtig Trumpf im Südwesten. Für letztere sorgen mit Bernd Hoffmann (Radio Regenbogen), Dorothee Seyser (HITRADIO antenne 1) und Matthias Ihring (Radio 7) erfahrene Musikchefs, die das Handwerk bestens verstehen und ihren Sendern seit vielen Jahren die Treue halten.

Dorothee Seyser (Bild: @ Antenne 1)
Dorothee Seyser (Bild: @ Antenne 1)

Im Rahmen unserer Serie „Heimliche Radiohelden“ sprach RADIOSZENE mit Dorothee Seyser über ihre Arbeit und die Veränderungen im Musikmarkt.


RADIOSZENE: Frau Seyser, wie sind Sie beim Radio gelandet?

Dorothee Seyser: Eigentlich bin ich studierte Juristin, war aber schon immer absolut musikbegeistert. Mit der Gründung der ersten Privatradios in Baden-Württemberg kam dann 1986 die Gelegenheit, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen.

RADIOSZENE: Welche Tätigkeitsfelder umfasst ihr Aufgabengebiet?

Dorothee Seyser: Ich leite bei antenne 1 die Musikredaktion. Dort bin ich für die strategische Musikforschung und Musikplanung von Hitradio antenne 1 und aller digitalen Audiostreams verantwortlich.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Musik und Musikspezialsendungen bei Hitradio antenne 1?

Dorothee Seyser: Musik hat bei antenne 1 eine extrem große Bedeutung. Hörer schalten uns in erster Linie wegen der Musik ein. Daher besteht die Herausforderung darin, konsequent den Musikgeschmack unserer Hörer zu treffen und unserem Versprechen, „Baden-Württembergs besten Musikmix“ zu spielen, jederzeit gerecht zu werden. Um den aktuellen Geschmack unserer vielseitigen und breiten Hörerschaft zu treffen, spielen wir als Hot-AC-Programm hauptsächlich aktuelle Titel aus der Pop-/Rock-Richtung und verzichten auf Musikspezialsendungen.

RADIOSZENE: Wie hat sich der Stellenwert der Musik im Radio im Laufe der Zeit aus Ihrer Sicht verändert? 

Dorothee Seyser: Radio ist heutzutage nicht mehr alleiniger Inputgeber für neue Musik. Musik selbst ist für Radioprogramme wie Hitradio antenne 1 jedoch essenziell. Sie ist neben dem Wunsch der Hörer nach Unterhaltung und relevanter Information der Haupteinschaltgrund. Radio ist in diesem Zusammenhang als Dienstleister tätig – mit dem Ziel, den Geschmack der Zielgruppe bestmöglich abzudecken.

RADIOSZENE: Kritiker werfen immer wieder, dass in Zeiten des Formatradios die Musikredaktion nur noch wenig Einflussmöglichkeiten auf die Musikabläufe hat. Welchen Einfluss haben Sie bei Hitradio antenne 1?

Dorothee Seyser: Gerade in einem Formatradio ist die Erfahrung und Expertise von Musikredakteuren entscheidend. Den über Marktforschung ermittelten aktuellen Musikgeschmack der Hörer optimal an die Hörgewohnheiten der Zielgruppe anzupassen und konsequent zu bedienen, erfordert viel strategisches Knowhow. In diesem Zusammenhang ist der Einfluss auf die Musikplanung durch die Redaktion geradezu essenziell. Hinzu kommt das Gespür für neue Musiktitel – auch hier ist die Musikredaktion besonders gefragt. Da wir zudem die Möglichkeit haben, direkt mit Künstlern zu arbeiten, gibt es im Bereich Musikpromotion viele Gestaltungsräume, um Musikerlebnisse für unsere Hörer zu kreieren.

RADIOSZENE: Welche Musik ist derzeit besonders angesagt – und gibt es schon einen Trend von Morgen?

Dorothee Seyser: Besonders angesagt sind momentan Elektropop, deutsche Musik von deutschen Singer-Songwritern und handgemachte Musik, wie beispielsweise von Ed Sheeran. Und das sind aus meiner Sicht auch gleichzeitig die Trends von morgen!

RADIOSZENE: In welcher Form arbeiten Sie mit der Musikwirtschaft zusammen?

Dorothee Seyser: Wir haben Verträge mit den großen Plattenfirmen, welche uns den Zugang und die Möglichkeit der frühestmöglichen Veröffentlichung der jeweils aktuellen Hits ermöglichen. Genauso kooperieren wir in Bezug auf künstlerbezogene Aktionen, z.B. Konzertpräsentationen oder exklusive Hörerkonzerte.

RADIOSZENE: Wie wichtig sind Radiokonzerte beziehungsweise Live-Events mit Künstlern für Hitradio antenne 1?

Dorothee Seyser: Solche Events sind uns bei antenne 1 sehr wichtig. Sie geben uns die Möglichkeit, sich von den Mitbewerbern im Markt zu unterscheiden. Zudem können wir dadurch unsere Hörer über die Musik und das Erlebnis an unseren Sender binden.

RADIOSZENE: Welchen Stellenwert haben Newcomer und Neuheiten für das Ihr Programm?

Dorothee Seyser: Für ein Musikprogramm, das von aktueller Musik dominiert wird, haben neue Künstler eine ganz wesentliche Bedeutung. Deshalb halten wir engen Kontakt zu den Musiklabels und ihren Künstlern. Sie sind der Motor für aktuelle Musikformate. Ebenso ist Radio der perfekte Partner für die Musikindustrie, um diese neuen Künstler und ihre Musik bekannt zu machen.

RADIOSZENE: Zuletzt hatte man den Eindruck, dass sich in den Single-Charts immer mehr Künstler bewegen, die bis vor kurzem völlig unbekannt waren. Täuscht dieser Eindruck – haben es die „großen Namen“ immer schwerer erfolgreich zu sein?

Dorothee Seyser: Dieser Eindruck täuscht nicht. Das liegt vor allem an der aktuellen Strategie der großen Plattenfirmen, die immer weniger Wert darauf legen, Künstler langfristig zu fördern. Die Charts sind ein Spiegel dieser Politik.

RADIOSZENE: Welche Aussagekraft haben die Top 100 generell für Sie. Hat deren Bedeutung nachgelassen? 

Dorothee Seyser: Die Top 100 sind nicht mehr das alleinige Abbild des Musikmarktes. Relevant sind inzwischen auch die digitale Nutzung von Musik oder die Ticketverkaufszahlen, welche die Bindung des Konsumenten zum jeweiligen Künstler abbilden. Das wichtigste und relevanteste Kriterium aber bleibt der aktuelle Musikgeschmack der Hörer im Markt, und dieser lässt sich nur mit aufwendiger und kontinuierlicher Marktforschung zuverlässig abbilden.

RADIOSZENE: Wie sehr haben sich Radio- und Musiklandschaft über die Jahre verändert?

Dorothee Seyser: Die Digitalisierung und das damit gestiegene Angebot sowie der unmittelbare Zugriff auf neue Musik durch Streaming-Dienste, wie z.B. Spotify, haben die Musikwirtschaft komplett verändert. Das sich damit verändernde bzw. erweiterte Nutzungsverhalten der Hörer hat auch Einfluss auf die Musikformate der Radiosender – und genau das, macht diese Branche so spannend.

RADIOSZENE: Wie gehen Sie mit dem Thema Streaming-Dienste um? In Radiokreisen wird durchaus kontrovers über dieses Thema diskutiert …

Dorothee Seyser: Die Streaming-Dienste erweitern die Möglichkeiten unserer Hörer, ihre Lieblingsmusik zu konsumieren und neue Musik zu entdecken. Sie geben ihnen ganz neue Möglichkeiten des zeitsouveränen und gezielten Musikkonsums. Deshalb ist die Art und Weise, wie wir die Lieblingsmusik unserer Hörer zusammenstellen, welche zusätzlichen Programmformate wir im digitalen Bereich anbieten und wie emotional sowie mit welchem Mehrwert wir diese unseren Hörern anbieten, ganz entscheidend.

RADIOSZENE: Fast alle Sender – so auch Hitradio antenne 1 – verfügen heute über separate Musik-Spartenstreams  im Internet. Ihr Sender hat die Auswahl zuletzt sogar weiter aufgestockt. Nach welchen Motiven haben Sie dieses Sortiment aufgebaut? 

Dorothee Seyser: Für die Wahl unserer Webradio-Channels hatten wir ganz unterschiedliche Motive. Da sich die Bedeutung der digitalen Kanäle und ihre Reichweiten vor allem mit Blick auf die neue Konvergenzwährung „ma Audio“ im kommenden Jahr deutlich steigern wird, hat diese Weiterentwicklung eine große Relevanz für uns. Daher entschieden wir uns, den bei uns gefragtesten Musikgenres einen eigenen Kanal zu geben. So entstanden die Channels Top40, 80er, 90er und antenne 1 Rock. Der Channel antenne 1 soft & lazy bezieht sich hingegen auf die Gemütslage unserer Hörer und spricht eine ganz bestimmte Stimmung an. Mit dem Album der Woche möchten wir hochkarätige Informationen sowie unsere Musikkompetenz unterstreichen. Anders als viele anderen Radiosendern bieten wir in einigen unserer Webradio-Channels nicht nur Musik, sondern auch moderative Beiträge der Hitradio antenne 1-Moderatoren an, was die Hörer zum einen besser an uns als Radiosender bindet und uns zum anderen deutlich von automatisierten Musikangeboten wie Spotify und so unterscheidet. Nach einem geglückten Relaunch im Juli 2017 sind wir mit den aktuellen Nutzungszahlen sehr zufrieden.

RADIOSZENE: Welche besonderen Herausforderungen muss sich Hitradio antenne 1 beziehungsweise die Branche allgemein in der Zukunft ganz besonders stellen?

Dorothee Seyser: Die Möglichkeit, auf neue Musik jederzeit und überall sowie ganz individuell zuzugreifen, verändert in Zukunft immer mehr das Nutzungsverhalten und die Erwartungshaltung unserer Hörer. Wir tun also weiterhin gut daran, auf Basis von Marktforschung die Musikauswahl ganz eng an den Bedürfnissen und Wünschen unserer Hörer auszurichten, um ihnen immer ein optimales Musikprogramm anzubieten, dass sie optimal unterhält.

Weiterführende Informationen
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