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Ö3-Chef Georg Spatt über Podcasting im Radio

Im pressetext-Interview spricht der Ö3-Chef über Talente und Proberäume,

Nutzen und Probleme des neuen Online-Trends

Pressetext: Podcasting gilt als Renaissance des Radios? Andere sehen es als eine Konkurrenz und Bedrohung für kommerzielle Radiostationen? Was kann Radio von Podcasting lernen und was kann es, was Radio nicht kann?

Georg Spatt: Podcasting kann abseits der großen Bühne sehr auf individuelle Besonderheiten eingehen. Es ist in der Art und Weise wie das Medium spricht sehr weit vorne. In der Jetztzeit, während da und dort das Radio wie wir es kennen via UKW teilweise sicher ein wenig langsamer ist. Podcasting ist zurzeit wie ein kleines Schnellboot, das sehr, sehr schnell die Richtung ändern kann, sehr sehr schnell neue Ziele ansteuern kann. Und noch dazu sind es eine Fülle von kleinen Schnellbooten, die verschiedenste Ziele ansteuern. Das ist auch der Grund, warum ich bei Ö3 gesagt habe, ich will mir das erstens sehr genau anschauen und zweitens auch damit einige Sachen ausprobieren.

Pressetext: Wird sich alles auch durchsetzen?

Spatt: Ich hab‘ nicht unbedingt überall den Anspruch, dass ein Markterfolg eintritt. Wir werden einige Sachen auch wieder einstellen und andere probieren. Mir geht’s auf der einen Seite vor allem darum, dass wenn meine Hörer finden, dass das zurzeit eine gute Ergänzung ist, dann „bleibt mir gar nichts anderes über als das aufzumachen“. Auf der anderen Seite sehe ich es als Chance, neue Radioformate, neue Gestaltungsformen, neue Inhalte und neue Präsentationsmöglichkeiten auszuprobieren, die ich so 1:1 im Programm gar nicht mehr ausprobieren kann. Über den Umweg Podcasting wird das aber einen großen Einfluss auf unser Programm haben.

Pressetext: Also Podcasts als Talenteschmiede und Proberaum für Radiosender?

Spatt: Jetzt, im November 2005, würde ich sagen, dass ist DIE Schmiede für Radiotalente, ob Journalisten, ob Moderatoren, ob Comedy-Autoren, Gestalter, Musikredakteure. Ich will nicht zu sehr in den Bereich der Prophezeiungen gehen, aber ja, ich hab‘ da große Hoffnungen.

Pressetext: Sind Podcasts für Nischenprogramme – also mitunter für öffentlich-rechtliche Rundfunker – nicht nahezu ideal? Obwohl Ö3 da jetzt nicht unbedingt das perfekte Beispiel ist.

Spatt: Oh ja, doch doch. Es scheint mir zurzeit eine nahezu geniale Ergänzung zu den Möglichkeiten, die wir ja auch sonst in der Programmvielfalt der ORF-Programme haben – mit FM4, mit Ö1 auf der anderen Seite, mit den Landesstudios und Ö3 – da ist das Podcasting sicherlich eine tolle neue Option.

Georg Spatt
Georg Spatt

Pressetext: Welche konkreten Programminnovationen kann sich Radio vom Podcasting abschauen, also nicht als Podcast, sondern im Radio?

Spatt: Zurzeit ist es ja noch eine Einbahn. Wir haben mehr oder weniger Spinoffs aus dem On-Air-Programm als Podcasts, wobei wir da auch zwei verschiedene Varianten haben: Die einen, die – nachdem sie ausgestrahlt wurden – sich in einer reduzierten Form im Podcast wieder finden. Dann haben wir auch schon eigene Podcast-Formate. Ich glaube, dass die in Wirklichkeit das größere Potenzial haben. Die werden extra für das eigenständige Medium produziert. Das sind aber alles Sachen, die ihre Heimat irgendwo im Ö3-Programm hatten. Ich hoffe sehr, dass es mehr und mehr einen Umkehrprozess gibt. Dass es reine Podcast-Formate gibt, die bisher keinen Ursprung im Ö3-Programm haben und dann über den Umweg Podcast ihren Weg finden.

Ob das ein Format sein wird oder aber – was ich für realistischer halte – die dahinter stehenden Mitarbeiter, wird man sehen. Für mich ist Podcasting aber auch ein Proberaum für jüngere Moderatoren. Und durchaus selbstkritisch auch ein Trainingsplatz, um möglicherweise die eine oder andere etwas platt klingende Präsentationsform, die wir uns angewöhnt haben, auch wieder weg zu bringen. Es ist vielleicht auch eine Entwicklung der Zeit, dass Radio nicht mehr die Sprache spricht, die vor allem eine neue Mediengeneration spricht.

Pressetext: Ö3 ist ja ein Musiksender. Gibt es rechtliche Probleme bei Musik-Podcasts? Der Podcast wird ja kostenlos geladen und gespeichert, d.h. für die Musikindustrie ist das problematisch. Sehen Sie da in Zukunft eine Einigung mit der Musikindustrie?

Spatt: Da gibt es zwei Seiten: Erstens macht es mir gar nicht so viel aus, dass wir die Musik nicht uneingeschränkt zur Verfügung haben, weil der Podcast-User ja in den Weiten des Internet – ob legal oder illegal – unendliche Möglichkeiten hat, an Musik zu kommen.

Pressetext: … ja aber Radio ist ja auch Musik-Promotion, die erst auf Musik aufmerksam macht. Außerdem ist es ein Stimmungsmedium, wo eben die Musik dazugehört.

Spatt: Ja, natürlich gibt’s da rechtlich auch noch zu klärende Dinge. Das ist auch der Grund – der Hauptgrund – warum wir in den aktuellen Podcasts Musik nur sehr gering – und auch dann nur als Appetizer – anbieten. Die Musikindustrie sucht zurzeit weltweit auf allen Vertriebswegen nach gangbaren Möglichkeiten, alle Rechte auch wirklich abzugelten. Und da sind wir noch nicht annähernd so weit.

Was ich damit sagen wollte ist: Ich bin nicht einmal so wahnsinnig unglücklich drüber, weil mein Benefit ist eher Information und Unterhaltung und das Ö3-Eigene, nämlich die Art und Weise wie ich diese Inhalte präsentiere. Das Abspielen – sagen wir – der neuen Madonna-Single …die finde ich eh überall, da brauche ich nicht unbedingt einen Ö3-Podcast dazu.

Pressetext: Weil sie den Benefit angesprochen haben. Viele finden Podcasting zwar schön und unterhaltsam, sehen aber nicht den kommerziellen Nutzen. Was bringt Podcasting fürs Geschäft – abgesehen vom Marketingwert?

Spatt: Ehrliche Antwort: Das ist genau der Punkt über den wir bis dato nicht nachgedacht haben. Das würde uns automatisch in Bereiche bringen, die es eher verhindern würden Podcasting überhaupt zu machen. Da kommt dann auf einmal die Frage auf: Ist das eine neue Einnahmequelle und sollen wir das überhaupt dürfen? Wenn ich daraus ein kommerzielles Produkt mache, dann wird’s mit den Rechten der Autoren oder Musiker noch viel schwerer. Insofern haben wir hier kein Businessmodell angedacht und werden das auch nicht machen.

Aber was Sie sagen, ist sicher der eine Grund, warum wir’s gemacht haben – es hat einen Marketingwert im besten Sinn des Wortes. Ein Teil des Publikums interessiert sich dafür, es ist sehr attraktiv, sehr sexy.

Pressetext: Haben sie schon an eine Finanzierung durch Sponsoring gedacht? In den USA sind bereits einige Markenunternehmen daran interessiert, Podcasts zu sponsern.

Spatt: Nein. Wirklich nicht, weil ich z.B. auch mit den Musiklabels so verblieben bin, dass wir das nicht kommerziell nutzen.

Pressetext: Haben sie eigentlich Zahlen zur Nutzung der Ö3-Podcasts, also Download- oder Userzahlen? Apple gibt sich ja hier eher bedeckt.

Spatt: Da sind alle sehr zurückhaltend. Ich habe da auch kein konkretes, seriöses Zahlenmaterial, das ich hergebe. Ich halte mich hier also an die anderen. Nur soviel, verglichen mit dem Radiomarkt ist es natürlich verschwindend klein. Aus unserer Sicht ist es aber in den ersten Monaten überraschend gut angekommen. An den Spitzentagen erreichen wir bis zu fünfstellige Zahlen bei den Downloads.

Pressetext: Die „Washington Post“ schreibt, Podcasting sei die einzige Technologie, die gleichzeitig Mainstream und Underground ist. Ist es nur ein kurzfristiger Hype oder ein permanentes Phänomen?

Spatt: Ich weiß nicht, ob wir in ein paar Jahren das Wort Podcasting noch so verwenden und ob wir dieselbe Technik nutzen. Aber die Art und Weise wie sich die Medien insgesamt verändern, teilweise ineinander verwachsen und sich die Grenzen verwischen – ist das jetzt Download von MP3s oder Radio? Das Thema Podcasting wird zurzeit sicher sehr heiß gekocht, aber ich glaube das ist eine dauerhafte Mainstream-Entwicklung und kein kurzfristiger Hype.

Pressetext: Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Erwin Schotzger (pte.at)

Link:
pressetext austria

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