Verstrickt im DAB-Chaos

BitterLemmer zum Thema DABDAB kommt, heißt es neuerdings. Die Privaten, vertreten durch den VPRT, hätten ihren Widerstand gegen den absonderlichen Übertragungsweg aufgegeben, der seit 1987 als Zukunft des Radios gilt und den Politik und Öffentlich-Rechtliche mit Gewalt durchsetzen wollen – gegen die Privaten und gegen die Hörer/Gebührenzahler. Sie könnten sich verzockt haben. Am Ende könnten sie vor einem Desaster stehen.

  1. Der VPRT hat im wesentlichen zwei unerfüllbare Bedingungen für seine Zustimmung formuliert (vgl. auch Vier-Punkte-Plan). Zum einen möge es einen Zuschuss von 500 Millionen Euro für die Privatradios geben. Das ist einerseits konsequent und folgerichtig. Es ist die Politik, die DAB verzapft hat. Es entspricht nur dem Verursacherprinzip, dass die Politik dann auch dafür bezahlt. Das freilich wirft grundsätzliche Fragen auf. Einen „nationalen Rundfunkplan“, wie FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld ihn ins Gespräch bringt, kann es nämlich nicht ohne weiteres geben. Medien sind grundsätzlich Ländersache. Es müsste also einen Staatsvertrag geben. Und woher sollen die 500 Millionen genommen werden? Aus Rundfunkgebühren oder aus Steuern? Letzteres wäre vermutlich verfassungswidrig, weil es die Staatsferne von Medien aushebelte. Sollte die Politik den Privaten DAB ohne finanzielle Unterstützung aufdrücken könnte sie die Hälfte der Privatsender gleich schließen. Die Kosten wären nicht zu tragen.
  2. Die zweite Bedingung des VPRT ist ebenso folgerichtig: Über die Abschaltung von UKW dürfe erst dann geredet werden, wenn die UKW-Nutzung unter zehn Prozent gesunken sei. Kein Mensch kann vorhersagen, ob und wann das der Fall wäre. Insofern ist das Ja des VPRT eigentlich nur ein konstruktives Nein.
  3. Während die deutschen Medienpolitiker noch über DAB reden, das Zukunftsradio der Vergangenheit, führt Amazon gerade in großem Stil seinen smarten Echo-Lautsprecher ein. Dieses Teil spielt auf Wunsch Radioprogramme, individuelle Playlists, sagt auf Anfrage Zeit oder Wetter an oder bestellt irgendeine Ware aus dem Amazon-Kaufhausangebot. Kollege Christian Schalt hat vor einigen Tagen beim Medientreff NRW eine sehr spannende Studie aus den USA vorgestellt, die zeigt, wohin die Reise geht. Einerseits explodieren die Echo-Verkäufe gerade. Das Gerät verlässt die Nische der Early Adopter und erobert den Mainstream. Andererseits ist es ungeheuer praktisch. In einer Reihe von Video-Interviews schildern Frauen und Männer von nebenan, wie der Echo nach kurzer Zeit unverzichtbar für sie wurde. Eine Mutter mit schreiendem Baby auf dem Arm rief ihrem Echo zu, das Ding möge das Lieblingslied des Kindes spielen. Kurz darauf war das Kleine selig entschlafen.
  4. Radio kann bisher auf einen ziemlich harten Vorteil bauen: Eine Basis von sehr vielen Radioempfängern in jedem deutschen Haushalt, je nachdem, wer schätzt, zwischen 140 Millionen und 200 Millionen Geräte. Es wäre schon sehr selbstmörderisch, diese Hardwarebasis durch das Abschalten von UKW zu vernichten. Ohnehin bröckelt die Bedeutung der Geräte. Radio wird heute auch auf dem Handy, dem Computer oder auf IP-Radios gehört, demnächst auch gewiss in Deutschland auf dem Echo, dem Konkurrenzprodukt von Google oder dem nunmehr auch von Apple angekündigten Home Pod.
  5. Die Nutzung von DAB ist offensichtlich nach wie vor marginal. Die Schönredner der Medienanstalten behaupten zwar, es würden mehr Geräte verkauft, aber die frustrierende Wahrheit ist, dass die Industrie sogar ein paar mehr IP-Radios verkauft als DAB-Geräte. Frustrierend ist das deshalb, weil der Marketing-Aufwand für DAB-Geräte massiv ist, für IP-Geräte dagegen kurz hinter Null. Angeblich sollen um die sechs Millionen Haushalte inzwischen ein DAB-Gerät haben (vgl. hier). Daraus zu schließen, DAB sei erfolgreich und werde genutzt, ist unseriös und vermutlich falsch.
  6. Vermutlich ist DAB bestenfalls eine vorübergehende Übergangstechnik. Niemand erwartet ernsthaft, dass DAB-Geräte die heutigen UKW-Geräte in auch nur annähernd vergleichbarer Dimension ersetzen können. Die Hardware-Basis rettet DAB nicht nur nicht, sondern wird dazu beitragen, ihren Bedeutungsverlust zu beschleunigen.
  7. Für die Privatradios stellt sich damit eine grundsätzliche Frage: Lohnt sich die Investition in DAB, wenn nicht im Mindesten absehbar ist, wie lange diese Technik überhaupt existieren wird? Auf den Staat zu vertrauen ist nie gut, da ändern sich die Vorgaben bedenken- und verantwortungslos. DAB ablehnen dürfte je nach Bundesland auch keine Option sein. In Bayern etwa greifen sie ja schon rigoros durch, da gibt es ohne DAB-Gehorsam auch keine UKW-Frequenz mehr. In anderen Bundesländern, etwa NRW, könnte DAB den bisherigen Radio-Protektionismus aufknacken und zum Eintrittsticket für neue Anbieter werden. Das wäre sicher einerseits begrüßenswert, dürfte für die derzeitigen Anbieter aber ein Alptraum sein.
  8. Zu fragen ist nach wie vor, was eigentlich das Motiv dafür ist, DAB mit Zwang im Markt durchzudrücken, der seit Jahrzehnten hartnäckig widersteht. Es ist vermutlich sehr simpel. Die Medienpolitiker haben über die Jahrzehnte mit dem Aufbau eines flächendeckenden DAB-Sendernetzes und immensem Werbeaufwand gut und gern eine Milliarde Euro oder mehr versenkt. Die wollen sie natürlich nicht abschreiben, sondern als Erfolg verkaufen. Also scheuen sie sich, zuzugeben, dass sie Bockmist gebaut haben. Sie sitzen ja am Drücker und denken offensichtlich, sie könnten befehlen, dass ab jetzt nur noch DAB gehört werde. Sie könnten sich täuschen.
  9. Denn das, was sie jetzt riskieren, ist noch eine Nummer größer. Dank DAB könnte es unangenehme öffentliche Debatten geben – in Bayern z.B. über den grotesken Verfassungsartikel 111a, der Privatfunk generell verbietet, obwohl es ihn gibt, was allein skrupelloser Paragrafenmanipulation zu verdanken ist. Sollte sich nicht mehr verhindern lassen, dass zu viele Normalbürger, Wähler, Steuer- und Gebührenzahler Einblicke in die teils völlig irren Mediengesetze bekämen, hätten die Landtagsabgeordneten daheim Debatten auszuhalten, von denen sie nicht einmal träumen möchten. DAB könnte nicht nur den Tod des dualen Rundfunksystems einleiten, sondern zugleich das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie wir ihn heute kennen. Die Medienpolitik wäre an ihrer Hybris erstickt.

 

Korrektur: In These 5 hat der Autor ursprünglich „Prozent“ geschrieben. Gemeint waren absolute „sechs Millionen“. Wir bitten um Entschuldigung. An der Tragfähigkeit der Aussage ändert sich nichts. 


Christoph Lemmer Portrait 2012 100
Kommentar von Christoph Lemmer (Freier Journalist). Weiterführende Informationen unter bitterlemmer.net

E-Mail: christoph@radioszene.de