Interview: Gibt es in Deutschland „U20-Jugendradios“?

Ein RADIOSZENE-Gespräch mit Jan-Christian Zeller und Andrea Husak

radio u20In Sachen „Jugendradio“ haben Andrea Husak und Jan-Christian Zeller einiges gemeinsam: beide haben bereits als Jugendliche neben der Schule angefangen, aktiv Radio zu machen. Auch haben sie bereits gemeinsam an einem Radioprojekt gearbeitet: bei chart-radio von media control in Baden-Baden. Im Moment sind beide -neben anderen Projekten- als Moderatoren im Hause Radio/Tele FFH tätig.

A: Jan-Christian, in Sachen Jugendradio bist du ja vielseitig involviert. Bitte gib uns doch mal eine kurze Übersicht Deiner bisherigen Karriere und Deiner aktuellen Projekte.

JC: Ich musste damals ohne „Jugendradio“ anfangen, weil es in Nordrhein-Westfalen gar keines gab. Aber ich wollte ja unbedingt Radio machen. Mit 15 ging’s dann los bei Radio WAF, einem der Lokalradios in NRW. Das war ein super Einstieg, um das Moderieren zu lernen und um sich überhaupt erst einmal ein bisschen zu orientieren. Anfangs habe ich das neben der Schule gemacht, nach dem Zivildienst folgte schließlich ein Volontariat.

Dann schließlich Jugendradio, beziehungsweise ein sehr junger Sender: Kiss FM in Berlin. Und das war super! Ich habe gemerkt, dass es die Form von Radio ist, das genau die Leute anspricht, die ich auch erreichen möchte. Nach einiger Zeit bin ich zu Megaradio nach München gewechselt, als der Sender im größeren Stil gestartet ist mit der Kabelverbreitung in ganz Deutschland. Das war für mich eigentlich noch mehr Jugendradio als Kiss FM, vor allem war das damals schon so eine Mischung aus Radio, TV und Online. Nachdem Megaradio eingestellt wurde, dann kam chart-radio in Baden-Baden. Während dieser Zeit kam für mich noch einslive dazu, wo ich heute noch freiberuflich arbeite. Und jetzt noch Planet Radio in Hessen. Einen Großteil der jungen Radiosender habe ich in den letzten Jahren also schon kennen gelernt.

Andrea Husak und Jan-Christian Zeller im RADIOSZENE-Gespräch
Andrea Husak und Jan-Christian Zeller im RADIOSZENE-Gespräch

A: Und dann hast Du auch noch ein ganz besonderes Projekt gestartet, nämlich das Radio der Jugendzeitschrift „YAM!“, ein Internetradio – dazu kommen wir gleich noch ausführlicher. Du bist also im Grunde ein ausgemachter Jugendradio-Experte. Mal ganz direkt gefragt: was ist denn nun das Problem mit Jugendradio in Deutschland? Es wird viel diskutiert…

JC: Das Problem, das ich sehe, ist, dass Jugendradio zwar Jugendradio heißt, aber mit der Jugend nicht viel zu tun hat. Man sieht ja in der MA oder in Umfragen, dass die Zielgruppe oft nicht einmal mehr in der Jugend anfängt, sondern hauptsächlich aus älteren Hörern bis weit in die Dreißiger besteht.

A: Also man schielt da vielleicht nach älteren Zielgruppen, weil die möglicherweise interessanter sind für die Werbewirtschaft und macht nicht wirklich Radio für die Jungen?

JC: Das ist sicherlich das Ding, dass sich viele Sender, was verständlich und nachvollziehbar ist, aus Gründen der Vermarktung mehr in die Richtung älterer Hörer orientieren. Auch wenn sie vielleicht jung anfangen, dann aber mit der Zeit älter werden. Die Sender rücken zielgruppenaltersmäßig näher zusammen. Aus meiner Sicht macht kein Sender, der in Deutschland auf UKW empfangbar ist, ein Programm für Jugendliche. Und mit Jugendlichen meine ich wirklich 10-20jährige. Ein Radio explizit für diese Zielgruppe gibt es nicht.

A: Eigentlich haben ja oft sogar die großen Sender „für die ganze Familie“ mehr Hörer in dieser Altersgruppe als die so genannten Jugendsender.

JC: Stimmt. Und wenn die MA demnächst wie geplant ab 10 Jahren erhoben wird, dann werden davon auch nicht die so genannten Jungendsender profitieren, sondern tatsächlich eben die auf den Mainstream ausgerichteten AC-Sender oder diese Familienprogramme. Davon dürften sich die jungen Hörer im Moment eher angesprochen fühlen, als von den teilweise eher alternativen, nicht auf Mainstream ausgerichteten Jugendprogrammen.

A: Was ist denn Deiner Meinung nach störend für die wirklich Jungen bei diesen Programmen?

JC: Wenn wir mal von der Musik ausgehen, wie sie programmiert wird: viele Favoriten der Jugendlichen finden da einfach nicht statt. Es gibt natürlich nicht nur Jugendliche, die Tokio Hotel hören, oder US5 und jetzt neu auch die Killerpilze. Aber das sind jetzt so drei Themen die auf keiner Jugendradio-Playliste auftauchen, höchstens mal per Handeinsatz. Ein weiterer Punkt ist die Art der Ansprache und die Moderatoren selbst. Ich glaube schon, dass die Jugendsender versuchen, eine junge Ansprache zu haben. Aber auch da tendiert man in Richtung junge Erwachsene. Natürlich ist kein Moderator beim Jugendradio 12 Jahre alt, aber 16 oder 17 fände ich mal gut! Das findet man auch ganz selten.

A: Meinst Du wirklich? Ist es nicht so, dass man als Jugendlicher sich durchaus auch gerne mal was von einem Erwachsenen anhört? Es gibt ja auch erwachsene, ältere Popstars. Jennifer Lopez, Kylie Minogue – über 30 Jahre alt, aber trotzdem beliebt bei den Jungen.

JC: Ja, stimmt. Es gibt da aber noch einen Unterschied. Die Jugendlichen mögen das sicherlich, aber da muss trotzdem der Fall gegeben sein, dass die Leute, die bei dem Jugendradio moderieren und die sich in diesem Bereich bewegen, die jungen Hörer ernst nehmen. Das ist doch das eigentliche Problem. Die Band Tokio Hotel beispielsweise wird oft belächelt, und mit ihr die Leute, die das gerne hören und das geht ja nicht! Ein älterer Moderator kann diese Hörer durchaus erreichen, aber nicht aus einer Distanz, wo Welten zwischen beiden liegen. Irgendwo muss das schon zusammen passen.

A: Das mit der Distanz wäre ja ein generelles Problem, das auch andere Moderatoren und Hörer betrifft. Vielleicht macht sich das in der jüngeren Zielgruppe einfach offensichtlicher bemerkbar. Dann klingt der Moderator überheblich und von oben herab.

JC: Es soll ja auch keiner irgendwen erziehen wollen. Das macht keinen Sinn. Beim Jugendradio besonders nicht! Wenn die Programmmacher versuchen, den Jugendlichen zu sagen, wie irgendwas zu sein hat, geht das Konzept nicht auf.

A: Was wollen denn die Jugendlichen? Du hast ja einen direkten Draht über Dein Projekt www.yamradio.de, das Radio des Jugendmagazins YAM!, das Du komplett in Eigenregie produzierst.

JC: Ich habe durch das Feedback festgestellt, dass die Jugendlichen im „normalen“ Radio nicht bekommen, was sie wollen. Diese Bands, die wir schon erwähnt haben. Und auch das ernst genommen werden. Bei yamradio.de läuft z.B. Tokio Hotel in Hot Rotation. Die finden es schon mal super, das so was im Radio läuft – und wir werden trotz der eingeschränkten Verbreitung als Radioprogramm wahr genommen. Und dann finden die es noch toller, dass da Leute anrufen und zuhören, die auch Tokio Hotel super finden – oder auch nicht. Da entsteht dann eine Diskussion in der Community. Hier kann man sich für den Künstler und die anderen Fans stark machen. Und das ist neu. So etwas haben sie zum ersten Mal gehört.

A: „Die Jugend“ ist ja alles andere als homogen. Früher gab es die Popper und die Punker oder die Beatles- und die Stones-Fans. Wie sieht das heute aus?

JC: Natürlich genau so. Die Redaktion von YAM! und ich überlegen uns genau, was wir ins Programm nehmen. Die Zeitschrift hat sich in den letzten sechs Jahren gut etabliert, in erster Linie wird sie von Mädchen gelesen, Kernzielgruppe 12-17 Jahre. Für diese Leute machen wir auch das Radio. Man kann natürlich wie bei keiner anderen Zielgruppe sagen „diese oder jene Musik ist perfekt“. Aber in diesem Fall ist es sogar so, dass es von den Hörern akzeptiert wird, wenn mal ein Song läuft, den sie nicht so cool finden. Sie wissen nämlich, dass viele andere genau diesen Song gut finden. Diese Einstellung kommt in der großen Menge Feedback rüber, die wir bekommen. Wir haben uns für ein Musikprogramm entschieden, das auch diese „kritischen“ Gruppen abbildet, gleichzeitig kommen die „coolen“ Sachen nicht zu kurz. Worauf YAM!Radio verzichtet, das sind so Themen wie Rosenstolz oder sogar Robbie Williams, wobei das ein grenzwertiger Fall ist. Das sind einfach Songs, bei denen auch Mama zuhören würde. Wir wollen uns deutliche abheben von den anderen Radioprogrammen.

A: Diese Mainstream-Künstler, die Du angesprochen hast, haben die konventionellen Jugendsender fast alle im Programm, um sich breiter aufzustellen. Ihr seid dagegen also recht spitz.

JC: Wir können uns das in unserem Fall leisten, im Augenblick ist der Druck nicht da. Bei einem Online-Radio-Projekt, wie es YAM!Radio im Moment ist, geht es im Moment nicht um gute Quoten oder um Vermarktung, wobei die Vermarktung gut anläuft. Erste Online-Vermarktungsfirmen zeigen Interesse und wollen sogar Radiospots verkaufen für unser Programm.

A: Dieser Tage wird in Radiokreisen viel über das Thema „Wort“ diskutiert. So nach dem Tenor: „Da alle die gleiche Musik spielen, muss die Unterscheidung durch das Wort erfolgen“. Wie betrifft diese Tendenz Deiner Einschätzung nach das Jugendradio?

JC: Ich muss mich da jetzt eigentlich ein bisschen darüber lustig machen; zum Beispiel, wenn ich höre, wie der Bayerische Rundfunk dieses neue Jugendradio aufbauen will. Ich lese da die ganze Zeit nur „journalistisch“, „anspruchsvoll“, „Kultur“. Ich glaube, man darf jetzt nicht den Fehler machen und davon ausgehen, dass ein Jugendradio viel Wort haben muss, nur weil das beispielsweise bei Podcasts funktioniert. Es muss natürlich Wort haben, YAM!Radio hat auch Wort. Was aber ein Programm für die junge Zielgruppe nicht braucht, ist langes, erzieherisches Gelaber. Ganz wichtig bei uns, sind die Hörer, die im Programm auftauchen. Es gibt die „Messagebox“, hier rufen sie zahlreich an und sagen z.B. was sie von der Band „Tokio Hotel“ halten. Oder sie grüssen ihre Stars, denn über die Marke YAM! sehen die Hörer ihren direkten Kontakt zu den Künstlern. Und das ist eine Art Wort, die gut ist, die Emotionen rüberbringt.

A: Du triffst ja nun viele Deiner Hörer auch direkt, weil Du viel für die Sender „on tour“ bist. Welches Feedback bekommst Du?

JC: Ich höre immer wieder, dass Radio für die Jugendlichen ein schwieriges Thema ist. Viele finden ihren Sender nicht im „normalen“ Angebot. Viele hören natürlich auch mit der Familie Radio, daher natürlich auch der Erfolg der Familiensender in der jungen Zielgruppe. Wir sind ja nun kein herkömmliches Radio, das man überall hören kann, jedenfalls im Moment noch nicht. Unsere Hörer nutzen YAM!Radio konkret, wenn sie am PC sitzen und chatten oder emails schreiben. Das ist ein Nebenbei-Medium, wie die anderen Sender auch, mit dem Unterschied, dass jetzt aber „ihre“ Musik läuft. Das kommt sehr gut an, wir bekommen aussergewöhnlich viel gutes Feedback. Die Ehrfahrungswerte sind bisher super! Das Internet scheint für diese Art von Programm und für unsere Zielgruppe auch genau der richtige Verbreitungsweg zu sein. Ich weiß nicht, ob viele der jungen Leute überhaupt noch ein Radio im Zimmer stehen haben und das für YAM!Radio über UKW einschalten würden.

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A: Welche Deiner Erkenntnisse ließen sich denn auf die klassischen UKW-Sender übertragen?

JC: Ich setze meine Hoffnung in das neue Energy-Programm bundesweit. Ich glaube, eine bundesweite Verbreitung ist ganz wichtig. Und den Jugendlichen ist es egal, ob das Programm aus München, Köln oder irgendeinem Kaff kommt. Es würde jetzt überhaupt keinen Sinn machen, ein bestehendes UKW-Programm umzustellen, weil die ganz Jungen so eine spezielle Zielgruppe sind und die einzelnen Sender nur eine begrenzte technische Reichweite haben.

A: Der Faktor „lokaler Bezug“ wäre in diesem Fall also nicht so wichtig? Die Heimat, in der die Hörer verwurzelt sind und die sie miteinander verbindet ist quasi die „Welt der Stars“.

JC: Ja, genau. Diese ganz junge Zielgruppe erreichen wir auch nicht mit Party-Tipps, die dürfen ja teilweise noch gar nicht auf Parties gehen. Bei uns geht es tatsächlich um den Bezug zu den Idolen und nicht um Regionalität. Ich fände es gut, wenn es ein solches Programm auch auf UKW gäbe, aber dann müsste es ein Programm sein, das in ganz Deutschland zu empfangen ist, nicht zuletzt aus Gründen der Vermarktung.

A: Um den Claim einer Deiner Arbeitgeber ins Gespräch zu bringen: „Zukunft“. Was meinst Du, wie entwickelt sich Jugendradio in Deutschland in naher Zukunft? Derzeit wird einiges am Programm geschraubt, um die Verluste aus der letzten MA zu korrigieren.

JC: Bei den bestehenden Jugendsendern sehe ich im Moment keine Veränderungen, die zum Ziel haben, die ganz junge Zielgruppe anzusprechen. Bisher geht die Tendenz dahin, dass diese Programme sogar noch älter werden. Da müssen dann wohl neue Varianten der Verbreitung kommen, wie z.B. Handyradio, aber so schnell geht das wohl nicht. Mit YAM!Radio fahren wir im Moment via Internet ganz gut.

A: Die technischen Entwicklungen werden sicher eine größere Vielfalt an Programmen möglich machen. Wäre für die UKW-Jugendradios vielleicht ein Ansatz zur Selbstfindung, zu bekennen, dass sie kein Jugendsender sind, sondern eher ein junger Erwachsenensender, oder wie?

JC: Ja, das wäre doch schon mal was. Ich weiß aber auch nicht, wie man aus dieser Nummer wieder sinnvoll rauskommt. Im Augenblick habe ich einfach den Eindruck, dass die Jugendradios mit Ihren Hörern erwachsen werden.

A: Jan-Christian, vielen Dank für Deine Sicht der Dinge zum Thema Jugendradio.

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