„Das Handy ist die neue Uhr, Baby!“

Schaltreport_250Wenn man bei Google die Begriffe „Schweiz“ und „Innovationen“ eingibt, erhält man beeindruckende 4.570.000 Ergebnisse. Zu den Schweizer Erfindungen zählen – wenig überraschend – das Alphorn (um 1300) und die Milchschokolade (1875), aber auch der Bleistift (1565), das Rote Kreuz (1864) und die elektrische Zahnbürste (1960).

Eine der relevanten neueren Errungenschaften ist das in Radiokreisen mit sowohl Argwohn als auch Verzückung bedachte Reichweitenmesssystem „Radio-Control“, im Volksmund gern „Radio-Uhr“ genannt. Die nicht weniger als einen Paradigmenwechsel verspricht – zum ersten Mal könnte Radiokonsum gemessen werden und nicht nur die Erinnerung an selbigen.

Dass die Schweizer dieses System nicht nur erfunden, sondern auch im Jahr 2000 verbindlich als Reichweitenmessung in der Schweiz eingeführt haben, war damals ähnlich progressiv und surreal, als wenn einem auf der Via Appia ein Mercedes SLK entgegengekommen wäre.

Dennoch teilt die Schweiz das Schicksal vieler Innovatoren – außerhalb der Schweiz konnte das System bisher kaum Erfolge erzielen, von ein paar Feldversuchen und Präsentationen auf Fachtagungen einmal abgesehen.

In den USA ist der Kampf um das Messsystem der Zukunft längst öffentlich und in vollem Maße entbrannt. In der öffentlichen Diskussion und in den Testmärkten („Houston Trial“) wird derzeit versucht herauszufinden, welches System das verlässlichste und vielversprechendste ist – und, nein, die Schweizer sind nicht dabei:

Kandidat 1 – Der Eurisko Media Monitor ist ein pagergroßes Gerät, das den Radiokonsum über „Watermarking“ misst, also über das Erkennen von spezifischen „Fingerprints“. Die Übertragung der Daten erfolgt täglich oder wöchentlich über GPRS.

Kandidat 2 – Der Arbitron PPM erinnert ähnlich wie das Eurisko-Produkt an einen Pager und ist derzeit das wohl am stärksten gestestete Messgerät, da sich der Platzhirsch Arbitron mit allen Mitteln gegen die neue Konkurrenz zu Wehr setzen will und eine Studie nach der anderen präsentiert.

Kandidat 3 – Die TMA/Ipsos-Handy-Software ist die derzeit von vielen favorisierte Lösung zur zukünftigen Reichweitenerhebung: Dem teilnehmenden Hörer wird drahtlos die Software aufs Handy gespielt, durch das Handymikrophon wird gemessen und wiederum drahtlos die Daten übermittelt. Wer kein Handy hat, bekommt eines zur Verfügung gestellt.

Welches System genau sich in den USA durchsetzen wird, zeigen wohl schon die nächsten Monate, wenn die ersten großen Marktversuche mit allen drei Anbietern ausgewertet sein werden.

Wenn die USA die Umstellung auf das neue System hinter sich haben (und alle relevanten US-Radio-Konzerne sind derzeit für einen raschen Umstieg), wird wohl relativ bald auch England folgen. Und dann könnte auch der Umstieg in Deutschland und Österreich in realistische Nähe zu rücken – mit etwa 10jähriger Verspätung gegenüber der Schweiz.


Christian Schalt06 110

Christian Schalt

(Programmdirektor KISS FM Berlin)

Kontakt: http://www.xing.com/hp/Christian_Schalt

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