Personalities im Radio: „Regeln sind da, um sie zu brechen“

Viktor Worms, Carmen Schmalfeldt, SIna Peschke, Robert Kratky, Inge Seibel (Bild: @Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Viktor Worms, Carmen Schmalfeldt, SIna Peschke, Robert Kratky, Inge Seibel (Bild: @Ulrich Köring/RADIOSZENE)

Gutes Radio lebt von guten Moderatoren, aber es sind die Personalities, die den Unterschied machen. Gibt’s im Formatradio überhaupt Chancen für Querköpfe? Wie lassen sie sich finden und fördern? Lohnt sich das Risiko des Formatbruchs? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussionsrunde „Don’t kill the Radiostar: Warum wir Personalities im Radio brauchen“ am 4. Juli 2017 auf den Lokalrundfunktagen in Nürnberg.

Freiheiten sind wichtig

Viktor Worms (Worms Mediapartner), den viele Zuschauer noch vom Fernsehen kennen, bekannte gleich zu Beginn, dass er trotz seiner vielseitigen TV-Erfahrungen als Moderator („ZDF-Hitparade“), Produzent („Wetten, dass..?“) und ZDF-Unterhaltungschef das Radio mehr mag als das Fernsehen: „Die Menschen sind normaler.“

Viktor Worms (BIld: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Viktor Worms (BIld: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)

Worms betonte die hohe Bedeutung von Personalities fürs Radio, gerade auch im Wettstreit mit Musikstreaming-Anbieten wie Spotify. Das seien „Leute, die es einfach draufhaben“, denen man Freiheiten lasse. Sie bewirkten eine emotionale Bindung der Hörer. „Das ist die einzige Zukunft, die wir haben.“ Als Beispiele nannte Worms Moderatoren wie Arno Müller (104.6 RTL) und Wolfgang Leikermoser (Antenne Bayern) sowie Sascha Zeus und Michael Wirbitzky (SWR3). Gleichzeitig zeigte er sich besorgt, dass die großen Radio-Personalities alle über 45 oder 50 Jahre alt seien und riet den Verantwortlichen in den Sendern dazu, in den Nachwuchs zu investieren.

Traut euch was!

Wenn er auf seine Anfänge und seinen Werdegang zurückblicke, sagte Robert Kratky (Ö3), dann habe er sich immer gegen jemanden durchsetzen müssen, der behauptete: „Das geht nicht!“ Es sei ein Problem, dass sich junge Moderatoren nur noch wenig trauten. Dabei gehöre es dazu, sich über etwas hinwegzusetzen, um sich bemerkbar zu machen, im Leben wie im Radio, unterstrich Kratky.

Sina Peschke, Robert Kratky, Inge Seibel (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Sina Peschke, Robert Kratky, Inge Seibel (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)

In vielen Sendern habe der Moderator allerdings nichts zu sagen außer Liner-Card-Moderation. Das seien Moderatoren, die diesen Titel nicht verdient hätten, sondern allenfalls „bessere Sprecher“, kritisierte Kratky. Dem Nachwuchs riet er zum Regelbruch. Man müsse sich gegen die bestehende Ordnung auflehnen: „Eine andere Chance hast Du nicht.“

Worms kritisierte stupide Ansagen wie „Der beste Verkehrsservice, das beste Wetter“, was die Sender von sich behaupteten – in Zeiten, wo mit personalisierten Apps viel bessere, individuellere Informationen möglich seien: „Das ist einfach absurd und ich frage mich manchmal, für wie blöd wir die Leute eigentlich halten!“

Personality trotz(t) Formatradio

Carmen Schmalfeldt (Radio Leverkusen), die sich selbst als „geladene Handfeuerwaffe“ bezeichnet, lehnt Formatradio nicht grundsätzlich ab: „Es kommt darauf an, was Du daraus machst.“ Formatradio sei letztlich ein Vorschlag, an den sie sich manchmal halte, den sie aber manchmal auch bewusst breche – als Stilmittel. Selbst dem Wetterbericht könne man eine persönliche Färbung geben statt ihn „trocken runterzubeten“, indem man das Wetter als Persönlichkeit moderiere, die etwa den Hörern sage, dass sie gerade auch friere.

Carmen Schmalfeldt (Bild: Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Carmen Schmalfeldt (Bild: Ulrich Köring/RADIOSZENE)

Auch Sina Peschke (Radio SAW) hat sich mit dem Formatradio arrangiert. Sie habe sich an dem Punkt wohlgefühlt, wo sie gemerkt habe, dass das Formatradio und die Regeln dazu da seien, sie gelegentlich zu brechen. „Man darf das alles nicht so ernst nehmen.“ Die Quintessenz, so Panel-Moderatorin Inge Seibel: Das Formatradio sei keine Ausrede dafür, nicht kreativ zu sein.

Nachwuchs muss gefördert werden

Worms blickte zurück auf die Anfänge von Antenne Bayern. Zusammen mit Mike Haas (BCI) stellte er vor dem Sendestart 1988 das Programm und Team des landesweiten bayerischen Privatsenders zusammen: „Wir waren uns einig: Wir wollen diese Besonderen.“ Sie holten Personalities wie Wolfgang Leikermoser, Stefan Parrisius, Elke Schneiderbanger, Stephan Lehmann, Tommi Ohrner und Katrin Müller-Hohenstein zum Sender. Aber was macht so eine besondere Stimme aus? Es seien, so Worms, Leute, die durch ihre Persönlichkeit wirken, einen Raum füllen und „etwas in Dir ansprechen, von dem Du nicht weißt, was das ist“.

Solche Talente gebe es auch heute noch, aber man gebe sich in vielen Sendern nicht die Mühe, mit ihnen mehr zu machen als ihnen Drei-Elemente-Breaks und das unfallfreie Vorlesen der Verkehrsmeldungen beizubringen, beklagte Worms. „Das ist ein Jammer und der Tod des Radios.“ Er suche heutzutage nach dem Nachwuchs weniger im Radio, sondern bei Slammern, YouTube und Facebook. „Da gibt es Leute, die machen ihr eigenes Ding.“ Ein Problem sei, dass sie im Radio, so wie es heute sei, nicht ihre Zukunft sähen und daher zu eigenen Sendern geworden seien. „Wir müssen das wieder öffnen. Wir müssen dringend etwas tun, sonst machen wir uns überflüssig“, sagte Worms.

Keine Angst vor Kritik

Peschke sprach in diesem Zusammenhang das Problem der geringen Bezahlung der Moderatoren an. Das Radio müsse attraktiv bleiben. Der heutigen Jugend fehle es zudem an einstigen Vorbildern wie Thomas Gottschalk oder Fritz Egner. Es gebe auch nur noch wenige Chefs, die den Mut hätten, einen Moderator mit Personality auszuhalten, sagte Schmalfeldt. Andererseits müssten auch Personalities, die polarisieren, Kritik aushalten. Peschke verwies auf die Kritik, die Moderatoren aus Social-Media-Plattformen entgegenströme. Das habe es damals nicht gegeben, daher habe man sich früher vielleicht mehr getraut als heute.

Sina Peschke (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Sina Peschke (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)

Kratky (Ö3) bestätigte, dass sich Personalities ständiger Kritik stellen müssten: Seine Programmchefs hätten ihm mehrfach mit dem Rauswurf gedroht. „Diese Angst muss man überwinden.“ Die Grundlinie bei Ö3 sei: Es gebe ein Format, das einzuhalten sei, aber wenn jemand eine gute Idee habe und der Meinung sei, dafür das Format brechen zu müssen, dann könne er das machen. Er müsse sich hinterher aber dafür verantworten, vor allem gegenüber den Hörern. „Wir sind in erster Linie dem Publikum verpflichtet“, betonte Kratky. „Ein Moderator, der an seinen Programmchef denkt, hat eh schon verloren.“

Gleiches, so Peschke, gelte für die täglichen Airchecks, die teilweise vor der gesamten Redaktion stattfinden. Sie seien oft „völlig überbewertet“ und „nutzlos“. Solche Besprechungen von Moderationen hätten sie „immer fertiggemacht“. Das Resultat: Am nächste Tag sei man am Mikrofon blockiert, überlege sich, was könnte der dann wieder dazu sagen, und sei nicht mehr frei.

Sei mutig, frei und echt

Doch wie findet man neue Personalities? Kratky würde jemanden suchen, der zehn Jahre in der Gastronomie gearbeitet hat, etwa einen guten Barkeeper, oder jemanden, der zwar aus der Radiobranche komme, aber sich „nicht vergiften“ habe lassen. Wichtig sei, dem Nachwuchs Freiheiten zu geben. „Du hast in jedem Format die Möglichkeit, Deine Persönlichkeit zu entwickeln, wenn Du einen Chef hast, der den Mut hat, das zuzulassen“, sagte Kratky.

Jürgen Kaul (Bayern 1) wird von Robert Kratky (ö3) interviewt (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Jürgen Kaul (Bayern 1) wird von Robert Kratky (ö3) interviewt (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)

Worms stimmte zu: Den wenigen Leuten, die außergewöhnlich seien – und die gebe es in jeder Branche -, müsse man frei Hand lassen, auch auf die Gefahr hin, dass sie mal gegen die Wand laufen. Darum gehe es: Die Radiohörer wollten Geschichten und außergewöhnliche Persönlichkeiten, die sie erzählen. Die Einzigartigkeit des Mediums, so Schmalfeldt, seien letzten Endes nicht Wetter und Verkehr, sondern die Menschen am Mikrofon, die Ansprache, Orientierung und Vertrauen vermittelten.

Authentizität und Emotionalität sind auch Kratky wichtig. Statt aufgesetzter Fröhlichkeit ist er in seiner Morning Show bei Ö3 auch mal schlecht gelaunt: „Ich habe mich entschieden, ich zu sein, und da gehört grantig sein einfach dazu“, sagte Kratky. Ihm sei zu Beginn seiner Radio-Laufbahn relativ früh klar gewesen, dass er versuchen werde, als er selbst vors Publikum zu gehen, sonst müsse er sein Leben lang eine Rolle spielen. „Und das wollte ich nicht. Wenn ich diesen Job mache, dann als ich. Und wenn ich nicht erfolgreich bin, dann habe ich halt Pech gehabt.“

Autor: Jörn Krieger

Link:
Audio-Mitschnitt des Panels Don’t kill the Radiostar (MP3)