Mark Schweitzer: Digitale Transformation in vollem Gange

RPR-Zentrale (Bild: ©RPR1.)
RPR-Zentrale (Bild: ©RPR1.)

In einer weiteren Folge über die „heimlichen Radiohelden“ wollen wir heute mit Mark Schweitzer den Musikverantwortlichen von RPR1. – des seinerzeit ersten flächendeckenden Privatradios in einem Bundesland – vorstellen. Das damalige RADIO 4 ging in Rheinland-Pfalz am 30. April 1986 auf Sendung. Das Programm war zunächst eine Veranstaltergemeinschaft von Radio RPR, Pro Radio4, Linksrheinischer Rundfunk und RADIO´85, später integrierte Radio RPR die anderen drei Veranstalter und hieß seitdem nur noch Radio RPR.

Mark Schweitzer schloss sein Musikstudium in Frankfurt am Main und Mannheim mit dem Diplom ab. Als Volontär bei Radio Regenbogen sammelte er erste Erfahrungen in der Hörfunk-Branche. Zwei Jahre arbeitete er bei der Ostseewelle, anschließend bei ENERGY Berlin und MDR JUMP. Nach einer jahrelangen leitenden Tätigkeit in der Musikredaktion von Skyradio Hessen wechselte Schweitzer als Musikredakteur zu bigFM nach Stuttgart. Seit 2012 ist er beim größten privaten Rundfunksender in Rheinland-Pfalz tätig.

RADIOSZENE sprach mit Mark Schweitzer über seine Arbeit und die Veränderungen im Musikmarkt.


RADIOSZENE: Wie kamen Sie zum Radio?

Mark Schweitzer (Bild: ©RPR1.)
Mark Schweitzer (Bild: ©RPR1.)

Mark Schweitzer: Das war eine eher verrückte Geschichte. Ich war mit ungefähr zwanzig Jahren auf einem Jazz-Konzert des Posaunisten Albert Mangelsdorff, das von einem Kultursender veranstaltet wurde. Nach dem ersten Teil betrat ein Mann die Bühne, um den Künstler zu interviewen. Und dieser Mann stellte sich dann dem Publikum als Musikredakteur vor. Da war es passiert. Schon alleine der Begriff hatte in mir ein riesiges Interesse geweckt, weil ich selbst Musiker war und noch nie zuvor von dem Beruf eines Musikredakteurs gehört hatte. Ich wollte wissen, was solche Typen genau machen. Gleich montags rief ich ihn an und er lud mich spontan zu einem Praktikum ein. Ab diesem Zeitpunkt ging es los. Ich machte weitere Praktika bei Privatsendern, dem ZDF und absolvierte schließlich ein Volontariat bei Radio Regenbogen und bigFM. Darauf folgten die ersten Stationen als junger Musikredakteur bei den unterschiedlichsten Sendern in Deutschland.

RADIOSZENE: Welche Tätigkeitsfelder umfasst Ihr Aufgabengebiet?

Mark Schweitzer: Ich bin bei RPR1. für das gesamte Thema Musik verantwortlich. Die Ausrichtung der Musik, die strategische Musikplanung, die Kooperationen mit der Musikindustrie, aber auch die Entwicklung von Musiksendungen und die Musikmarktforschung sind im Wesentlichen meine Themen.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Musik und Musikspezialsendungen bei RPR1.?

Mark Schweitzer: Musik ist der Haupteinschaltgrund beim Radio. Somit hat die Musik auch bei RPR1. eine sehr große Bedeutung. Es geht darum, die Menschen mit einer Top-Musikauswahl, interessanten Themen, gutem Journalismus und Service durch den Tag zu bringen. Der Sender verfügt auch über sehr viele Musikspezialsendungen. Mit „Liedergut – Music made in Germany“ widmen wir uns beispielsweise sonntags zwei Stunden ausschließlich Musik, die in Deutschland produziert wurde. Dazu gehört nicht nur deutschsprachige Musik, sondern alles, was in diesem Land an Musik entsteht. Besonders wichtig ist uns hier die Nachwuchsarbeit. Mit „Tanzbar“ haben wir für den Samstagabend ein starkes Partymodul entwickelt. Hier arbeiten wir mit dem Top-DJ David Banks und seiner Crew zusammen. Dann wäre da noch „Du bist RPR1. – Der Musiknachmittag“ Hier können die Hörer jeden Werktag von 12.00 bis 14.00 Uhr das Musikprogramm gestalten.

RPR1.-Live Mobil (Bild: ©RPR1.)
RPR1.-Live Mobil (Bild: ©RPR1.)

RADIOSZENE: Wie hat sich der Stellenwert der Musik im Radio im Laufe der Zeit verändert?

Mark Schweitzer: Der Stellenwert ist nach wie vor sehr groß und nimmt reichlich Platz ein. Kein Medium kann Musik so lebendig präsentieren wie Radio das kann. Besonders wichtig sind hier die Moderatorinnen und Moderatoren, die sich mit viel Herzblut und Leidenschaft der Musik nähern und für die Hörer aufbereiten müssen.

RADIOSZENE: Kritiker werfen ein, dass in Zeiten des Formatradios die Musikredaktion nur noch geringe Einflussmöglichkeiten auf die Musikabläufe hat. Welchen Einfluss haben Sie bei RPR1?

Mark Schweitzer: Am Ende des Tages entscheiden unsere Hörer, was an Musik läuft. Wir korrespondieren permanent mit ihnen, machen ihnen Vorschläge und bekommen dann ihre Wünsche und Vorlieben genannt. Und die setzen wir um. Bei neuer Musik, die noch unbekannt ist, muss die Musikredaktion den Markt genau durchforsten und sehr viel vorfiltern, damit auch genau die neuen Songs vorgestellt werden, die eine Chance haben positiv aufgenommen zu werden. Das ist schon eine Herausforderung. Wir unterstützen auch sehr gerne Newcomer.

RADIOSZENE: Welche Musik ist derzeit besonders angesagt – und gibt es bereits einen Trend von Morgen?

Mark Schweitzer: Momentan läuft sehr viel elektronische Musik. DJs und Produzenten, die mit Features arbeiten. Dieser Markt ist sehr überladen und vieles klingt gleich, was sicher noch einige Zeit so bleiben wird. Auch im deutschen Segment passiert sehr viel und die Bands und Künstler schießen regelrecht aus dem Boden. Auf internationaler Ebene finde ich Interpreten wie Rag’N’Bone Man oder die Bands Welshly Arms und Kaleo, die gerade für etwas Abwechslung sorgen, sehr erfrischend.

RADIOSZENE: In welcher Form arbeiten Sie mit der Musikwirtschaft zusammen?

Mark Schweitzer: Die Musikindustrie ist eine der Hauptquellen für neue Musik und Stars von morgen. Hier werden wir entsprechend bemustert. Besonders eng arbeiten wir bezüglich Live-Konzerten zusammen. Mit dem „RPR1.-Wohnzimmer“ haben wir beispielsweise eine hausinterne exklusive Location, wo regelmäßig Stars in nahezu familiärer Atmosphäre für unsere Hörer auftreten. Uns ist es besonders wichtig, nah an unseren Fans zu sein. Und da gehört es dazu, auch die Stars nahbar zu machen. Ich finde, das gelingt uns sehr gut.

RPR1-ist überall (Bild: ©RPR1)
RPR1-ist überall (Bild: ©RPR1)

RADIOSZENE: Wie sehr haben sich Radio- und Musiklandschaft über die Jahre verändert?

Mark Schweitzer: Das Radio ist dabei sich zu verändern, muss sich sogar verändern. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Die digitale Transformation ist im vollen Gange. Die Konkurrenten sind heute lange nicht mehr nur Mitbewerber auf dem Radiomarkt. Streaming-Dienste wie Spotify haben ganz andere Wege eingeschlagen, Musik zu präsentieren. Der Content ist hier rund um die Uhr selektierbar. Auch das Bewegtbild und Social Media spielen eine große Rolle. Viele Künstler vermarkten sich ausschließlich über virales Marketing und haben großen Erfolg damit. Was sich auch verändert hat, ist die Tatsache, dass die meisten Künstler sich stark auf ihre Konzerte konzentrieren und das Touren weniger Promo für die neue Musik des Künstlers darstellt, als umgekehrt.

RADIOSZENE: Zuletzt hatte man den Eindruck, dass sich in den Single-Charts immer mehr Künstler bewegen, die bis vor kurzem völlig unbekannt waren. Täuscht dieser Eindruck – und haben es die „großen Namen“ immer schwerer erfolgreich zu sein?

Mark Schweitzer: Es kommen immer neue Künstler, in vielen Fällen holen sie sich Unterstützung durch Features, die schon etabliert sind. Die Konkurrenz wächst, das ist klar. Sounds verändern sich und das heranwachsende Publikum ist auf anderen Plattformen unterwegs als die Eltern und hat neue Helden. „Große Namen“ werden aber immer groß bleiben, schon alleine durch die „alte“ Fanbase. Phil Collins zum Beispiel ist nach wie vor ein begehrter Künstler. Was nicht bedeutet, dass er keinen Flop hinlegen kann. Aber ein anständiger Grundstamm wird ihm immer sicher sein. Bei manchen älteren Künstlern besteht allerdings oft das Problem, dass sie klingen wie zu ihren Anfängen. Stiltreue in allen Ehren, aber wenn man sich nicht mit dem Markt bewegt, kann der sichtbare Erfolg schon nachlassen. Wir reden hier von Popmusik – das ist ein Geschäft und die Spielregeln ändern sich sehr schnell, was vor allem auch für die Vermarktung gilt. Linkin Park, die eine verhältnismäßig junge Band sind, haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. Man muss sich nur den Song „Heavy“ anhören und mit dem Material von vor 15 Jahren vergleichen. Da wird man feststellen, dass aktuell von der anfänglichen Crossover-Identität wenig übrig geblieben ist. Sie haben sich verändert und profitieren davon.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben die offiziellen Top 100 generell für Sie? Hat deren Bedeutung nachgelassen oder gar ausgedient?

Mark Schweitzer: Selbstverständlich sollte man regelmäßig einen Blick auf die Top 100 werfen. Viel entscheidender ist aber der direkte Kontakt zum Publikum. Man muss Rückkanäle schaffen und das Feedback zu den Songs, die man ihm anbietet, auffangen und verarbeiten. Die Marktforschung spielt hier eine entscheidende Rolle. Man muss sich auch anschauen, was im Internet und bei Streaming-Anbietern gut funktioniert. Oft findet man dort Musik, die in vielen Ländern schon erfolgreich ist, den deutschen Markt aber erst Monate später erreichen wird.

RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Newcomern und Neuheiten für das Programm von RPR1.?

Mark Schweitzer: Eine sehr große Bedeutung! Unsere Sendung „Liedergut – Music made in Germany“ ist mitunter eine gute Plattform für Newcomer aus der deutschen Szene. Zudem haben wir eine tägliche Neuvorstellung, wo nicht nur neue Musik von bekannten Künstlern vorgestellt wird, sondern auch von Newcomern. Bei unseren Off Air-Veranstaltungen versuchen wir auch immer ein gutes Mischverhältnis aus Stars, Sternchen und eben absoluten Neulingen hinzubekommen.

RADIOSZENE: RPR1. strahlt seit geraumer Zeit werktäglich während der Nacht eine zweistündige Lounge Musik-Strecke aus. Nach welchen Kriterien suchen Sie dafür die Musik aus?

Mark Schweitzer: Bei der Lounge geht es ausschließlich um die Stimmung. Interpreten spielen hier keine große Rolle. Die Musik muss passen und soll die Hörer entspannt durch die Nachtstunden bringen. Es kommen immer wieder positive Feedbacks von Leuten. Aber die meisten schlafen nachts …

RADIOSZENE: Fast alle großen Sender – so auch RPR1. – verfügen heute über separate Musik-Spartenstreams im Internet. Ihr Sender verfügt hierbei mit über dreißig Musikangeboten derzeit die bundesweit größte Musikauswahl. Welche Bedeutung haben diese Streams für den Sender und wie häufig werden sie genutzt?

Mark Schweitzer: Zum einen geht es darum viele attraktive Musiksparten abzubilden und diese richtig hochwertig und mit viel Herzblut zu präsentieren. Viele Menschen sind nicht immer bereit das breit gefächerte Vollprogramm zu hören, sondern wollen in bestimmten Momenten ganz spezielle Musik.

Was hier ganz besonders im Vordergrund steht, ist der Gedanke Stimmungen zu erzeugen beziehungsweise für bestimmte Stimmungslagen die perfekte Musik anzubieten. Mit „Start in den Tag“ haben wir beispielsweise einen Stream für den Morgen. Man steht auf, schaltet ein und bekommt gleich Musik, die einen frisch in den Tag begleitet.

Oder mit „Summerfeeling“ bieten wir Musik, die einen sofort an Sommer, Sonne und Urlaub erinnert. Dann gibt es natürlich die unterschiedlichsten Musikstile und Ären, die wir anbieten. Oder „Hits für Kids“ – ein Programm nur für Kinder. Die Angebote werden hervorragend angenommen.

RADIOSZENE: Welchen besonderen Herausforderungen muss sich RPR1. beziehungsweise die Branche allgemein in Zukunft stellen?

Mark Schweitzer: Die größte Herausforderung ist es, trotz der immer größer werdenden Konkurrenz als Medium attraktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben. Das geht nur mit der Bereitschaft für Veränderungen. Es wird sich alles vermehrt im Digitalen abspielen. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten – und da bin ich mir sicher – werden Medien und Angebote auf den Markt kommen, die so innovativ und anders sein werden, dass wir heute noch nicht annähernd eine Vorstellung davon haben. Und es wäre toll, wenn ein Großteil dieser Angebote von denjenigen käme, die heute Radio gestalten – egal ob es dann noch Radio heißt oder etwas ganz Neues ist.

Michael Schmich