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Blondie: Pollinator

Blondie Pollinator 800 minUnd wieder begrüßen wir auf der großen Bühne eine dieser unkaputtbaren Bands aus den 1970er Jahren. BLONDIE ist zurück! Was denn, die Band mit der Klasse Frontfrau? Jawoll, mit Debbie Harry. Und beim Durchhören des neuen Albums scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Punk-Rock? Disco? Rap? Pop? BLONDIE war nie konkret einzuordnen. Die Band entsagte sich seit jeher gängigem Schubladendenken. Zum einen, weil sie Musik im vielfältig verstand. Zum anderen aber auch, weil Debbie Harry und Chris Stein, eins der außergewöhnlichsten musikalischen Paare überhaupt, vielseitig interessierte Köpfe sind. Spricht man mit ihnen, kommen sie irgendwann sicher auf die schleichende Gentrifizierung ihrer ewigen Wirkungsstätte New York City zu sprechen.

BLONDIE wurde während der Zeit des Stadtverfalls in den 1970er-Jahren gegründet. Damals überlebten nur die Stärksten auf den Straßen mit erhöhten Kriminalitätsraten und sozialen Unruhen die Mühen, in einer Band zu spielen, ein künstlerisches Ventil zu finden und eine Szene anzuzetteln. Inzwischen sind diese 70’s-Straßen von New York während des Ausschlachtens von Retrospektiven der Punk-, New Wave-, Disco- und HipHop-Szenen, deren Wurzeln in jener Ära liegen, längst glamourisiert worden. Es ließ sich damals nicht einfach leben in New York. Die Herausforderungen, die von der Stadt damals gefordert wurden, waren einfach anders.

BLONDIE gehörten zu den Stärksten. Die Band überlebte den bahnbrechenden Moment, der sie gebar. Und sie arrangierte sich mit den Veränderungen der Zeit, ihrer Umwelt und der Industrie ebenso, wie sich das Gesicht von New York mit der Zeit immer wieder verändert hat. Und genau so wie New York immer sich selbst treu geblieben ist, blieb auch die Band unbestritten immer BLONDIE. Selbstzufriedenheit war nie ihr Ding. Ihrem unaufhörlichen Drang, die Flagge der genreübergreifenden Rockmusik hochzuhalten, wird die Band nie müde, ihren Punk trugen sie nie zu Grabe. In ihrem Sound hallte die Subkultur immer über dem Mainstream. Debbie Harry besitzt auch heute noch eine Aura und Haltung, die schlicht zu groß ist für Underground-Clubs. Die Vision ihres Kollegen Chris Stein war ihrer Zeit immer so weit voraus, dass der Rest der Welt immer noch damit beschäftigt scheint, sie einzuholen. Geht man heute in einen Club, hört man sicher ein „Call Me“ oder ein „Heart Of Glass“.

40 Millionen verkaufte Alben und zahllose Awards später (Aufnahme in die „Rock And Roll Hall Of Fame“ 2006, „NME Godlike Genius Award“ 2014), ist BLONDIEs Präsenz immer noch so intensiv, dass sich niemand wagt, aus ihrer Kunst Nutzen zu ziehen.

Genau das fordert ihr elftes Studioalbum „POLLINATOR“ ein, das zwei Jahre in der Mache war. In wahrhaftiger Pop-Art Tradition, verkörpert es ein postmodernes Konzept. Gleichzeitig legt es die Feierlichkeiten zum 40-jährigen BLONDIE-Jubiläum 2014 ad acta, denen das letzte Studioalbum „Ghosts Of Download“ folgte. „POLLINATOR“ ist ein gigantischer Resonanzkörper. Einer, den BLONDIE geschaffen haben und von dem sich jüngere Musiker-Kollegen inspirieren ließen. Im Zusammenschluss entstand das Album, auf dem etwas gänzlich Neues geschaffen wurde – durchzogen von den Spuren, die BLONDIE mit ihrem eigenen Sound hinterließen.

Ihrem Produzenten John Congleton ist es geschuldet, dass ihre taffe 70’s-New York-„Parallel Lines“-Haltung wieder zum Vorschein kam. Congleton bezeichnet sich selbst als langjährigen Fan der Band: „Blondie war eine Radio-Band als ich aufwuchs. Eine Band, die viele Leute respektierten. Sie war allgegenwärtig“.

Zusammengefasst spiegelt das Album den Standpunkt einer großen, bedeutenden Frau im fortgeschrittenen Alter, die mit ihrem nach wie vor coolen Haltung Altersdiskriminierung und Sexismus beim Schopfe packt. „Texte sind immer Sache der Beobachtungen oder des vorübergehenden Wahnsinns oder so“, sagt Debbie. BLONDIE haben ihre Wörter im Gespräch tatsächlich nie feingehobelt, um jedermanns Liebling sein zu können. Im derzeitigen gesellschaftlichen Klima ist es eine Wohltat, dass mit ihnen eine Band zurückgekehrt ist, die Haltung zeigt. „Ich bin ständig bei Facebook und lege mich mit Leuten über aktuelle Geschehnisse an“, sagt Chris über die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. „Wir waren immer politische Menschen, wenngleich auch nicht offenkundig“, fügt Debbie ein. „Die Leute wissen sehr wohl wer wir sind und für was wir stehen. Ich finde, dass sich von meinen persönlichen Ansichten keiner vor den Kopf gestoßen fühlen muss. Wir stellen sie in einer Weise dar, die Gedanken oder Gefühle anreget.“ Chris kann sich sein Lachen nicht verkneifen. „Ich versuche höflich zu sein. Mir sagten ohnehin nur zwei US-Präsidenten zu: Obama und John F. Kennedy. Der Rest war ein jämmerlicher Haufen Versager.“

„Ruhm und Selbstgefälligkeit sind grotesk und von Selbstverleugnung geprägt. Es gehört eine Besessenheit oder komplettes Verrücktsein dazu, ein Künstler zu sein. Es ist wie ein Traum, der Realität wird“, sagt Debbie. „Man muss sich eines großen Egos bedienen können, einem Antrieb, Dickköpfigkeit, einer Kraft, die einen antreibt und etwas von einem abverlangt. Man kommt an einen Punkt, an dem man sich entscheiden muss, ob man nach links, nach rechts oder geradeaus geht. Und man stellt sich der Entscheidung, obwohl man meistens keine Zeit dazu hat, sie zu treffen. Man trifft sie einfach, sie ist dem Instinkt geschuldet. Ich bin nicht immer vollkommen davon überzeugt, was ich tue und wer ich bin. Aber wagt sich jemand, mich in Abrede zu stellen, werde ich zur Rächerin und trete ihm in den Arsch.“

Das neue BLONDIE Album ist im deutschen Radio unter anderem bereits bei WDR2, SWR 1, Berlin 88.8, NDR 2, Radio Eins und hr1 im Einsatz.

Hörtipp: BLONDIE – Long Time

 

XPLR: MEDIA Radio-Report