bpb: „Für das Radio beginnt ein neues Zeitalter“

Eindrücke vom Lokalfunkertreffen in Nürnberg

 

von Inge Seibel-Müller

bpbViele offene Fragen, weniger schöne Marktforschungsdaten, glückliche Hörfunk- und Fernsehpreisträger und über 1000 Gäste: Auf den Lokalrundfunktagen der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) im Juli in Nürnberg traf sich eine aufgeweckte Lokalradiobranche, die sich in zahlreichen Workshops intensiv mit den gravierenden Veränderungen im Radiomarkt auseinander setzte.

Reichweitenschwund im bayerischen Lokalradiomarkt

Es hörte sich gut an für die lokalen Stationen, als Wolfgang Werres vom Marktforschungsinstitut Infratest anlässlich der Vorstellung der aktuellen Funkanalyse Bayern im CongressCenter Ost der Nürnberger Messe die Kernergebnisse präsentierte: „Sowohl gemessen an der Reichweite als auch nach dem Marktanteil liegen die bayerischen Privatradios in der Hörergunst weiterhin deutlich vor dem Bayerischen Rundfunk.“ Das war die gute Nachricht. Doch die Verluste sind unübersehbar: Erneut hat sich die Zahl der Lokalradiohörer in Bayern reduziert. Während Antenne Bayern mit einer immer noch gut ausgestatteten Redaktion und hochdotierten Gewinnspielen erfolgreich gegen den verbreiteten Hörerschwund ansendet und der Bayerische Rundfunk mit seinen fünf Programmen seit Jahren eher stagniert, traf es diesmal die Lokalstationen besonders hart. Ihr Anteil an der Tagesreichweite sank erstmals unter die 30-Prozent-Marke.

BLM-Präsident Wolf-Dieter Ring machte die Gesellschafter der bayerischen Lokalradios mitverantwortlich für die teils herben Reichweitenverluste im Lokalfunk. Er forderte sie mit deutlichen Worten auf, jetzt zu investieren, bevor es zu spät sei.

„Redaktioneller Minimalismus und lieblose Playlisten“

Der Abwärtstrend sei nicht gottgegeben, so Ring, das habe teilweise auch mit redaktionellem Minimalismus und lieblosen Playlists zu tun, mit einem insgesamt wenig aufregenden Programm: „Ich weiß sehr wohl um die Vorleistungen beim Aufbau des lokalen Hörfunks und ich weiß auch, dass strukturelle Verbesserungen notwendig sind. Dennoch gilt: Wenn nicht mehr ins Programm investiert wird, sondern es primär darum geht, Gewinne mitzunehmen, ist es kein Wunder, wenn der Erfolg ausbleibt. Und verspielte Reputation ist schwer wieder zurück zu gewinnen.“

Wolf-Dieter Ring (BLM) fordert mehr Investitionen ins Programm
Wolf-Dieter Ring (BLM) fordert mehr Investitionen ins Programm

Zahlen hübsch verpackt

Die Reputation der Lokalsender in Bayern scheint noch ganz gut zu sein. Herausragende Kompetenzen werden den Lokalradios von den Zuhörern im Hinblick auf regionale Nachrichten und Informationen, interessante Veranstaltungshinweise und lokalen Sport zugeschrieben. In den Werten „Kompetenz des eigenen Programms und der Konkurrenzprogramme bei den eigenen Stammhörern“ in den Ballungsräumen Nürnberg und München schlagen die Lokalsender die Konkurrenz um Längen.

Kompetenz des eigenen Programms und der Konkurrenzprogramme bei den  eigenen Stammhörern in den bayerischen Ballungsräumen Grafik: TNS Infratest MediaResearch
Kompetenz des eigenen Programms und der Konkurrenzprogramme bei den eigenen Stammhörern in den bayerischen Ballungsräumen Grafik: TNS Infratest MediaResearch

Wohlwollend umschrieben hat die Bayerische Landeszentrale für neue Medien in ihrer Pressemitteilung die weniger schönen Resultate der Funkanalyse. Von Spitzenreitern und guten Ergebnissen ist da die Rede. Kritisch wird es, wenn man das Zahlenmaterial der letzten drei Jahre im Detail betrachtet. Beispielsweise Radio Plassenburg aus Kulmbach. Der seit Jahren auf die Spitzenreiterposition an Einfrequenzstandorten abonnierte Sender konnte 2005 noch mit einer Tagesreichweite von 37,7 Prozent aufwarten. 2007 genügten für die Spitzenposition schon 25,3 Prozent.

„5,4 Prozent der bayerischen Bevölkerung hört kein Radio mehr. Ein besorgniserregender Trend“, resümierte Marktforscher Wolfgang Werres fast schon betroffen die weniger positiven Ergebnisse der Funkanalyse, die seit 1989 jährlich im Auftrag der BLM und der privaten Rundfunkanbieter in Bayern durchgeführt wird.

Professionelle Eröffnungsshow

Seit einigen Jahren präsentiert Werres die schnöden Zahlen hübsch verpackt in einer zweistündigen Eröffnungsshow. Höhepunkt ist die Verleihung der BLM-Hörfunk- und Lokalfernsehpreise. Die mit bis zu 3.000 Euro dotierten Auszeichnungen sollen die journalistische Qualität im lokalen Rundfunk fördern. Dieses Jahr prämierte die Jury insgesamt 11 Radio- und Fernsehbeiträge.

Die Eroeffnungsveranstaltung der BLM-Lokalrundfunktage ist immer gut besucht
Die Eroeffnungsveranstaltung der BLM-Lokalrundfunktage ist immer gut besucht

Großen Anteil am Gelingen dieser Preisverleihung hat Lothar Schaudig, der mit seiner Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft Telemobil seit Jahren die Hörfunkbeiträge in kurzweiligen Filmen visualisiert. Während mancher Besucher der Lokalrundfunktage vor Jahren noch monierte, was denn Film mit Hörfunk zu tun habe, kann man Schaudig und der BLM heute zu ihrer Weitsicht als Vorreiter der Bimedialität gratulieren. Videoclips zum Ton werden vermutlich schon bald auf allen Internetplattformen der Radiosender zum Alltag gehören.

Die Eröffnungsveranstaltung lässt sich per Videostream auf den Seiten der BLM auch weiterhin im Internet verfolgen.

Gut besuchte Workshops

Bei allen mehr oder weniger schönen Zahlen: Mutlosigkeit und Enttäuschung herrschten trotzdem nicht vor beim alljährlichen Branchentreffen zur Bekanntgabe der aktuellen Funkanalyse Bayern. Eher Ratlosigkeit und eine offen geäußerte Unsicherheit vor all den Unabwägbarkeiten der nahen Zukunft. Darüber wurde in Nürnberg ausführlich diskutiert.

Karlheinz Hoerhammer Bild: Antenne Bayern
Karlheinz Hoerhammer Bild: Antenne Bayern

„Es gibt noch zu viele offene Fragen“, fasste Karlheinz Hörhammer, Chef der Antenne Bayern, das Dilemma auf einem der zahlreichen Radioworkshops zusammen. „Doch eines ist sicher, für das Radio beginnt ein neues Zeitalter mit gravierenden Veränderungen des Marktes – mit Herausforderungen, aber auch mit Chancen.“ Und einer zunehmenden Bedeutung des Internets!

„Viele Sender sehen das Internet aber nur als Ergänzung zu ihrem Programm“, kritisierte CSU-Generalsekretär Markus Söder. Er vermisst bei den meisten Radiostationen den Mehrnutzen, den die Webseite für den Anwender haben muss.

Als Vorsitzender der CSU Medienkommission moderierte Söder in Nürnberg einen Workshop, der die neu zu findenden Finanzierungsmodelle des Lokalrundfunks thematisierte. Derzeit liegt der Zuschussbedarf der Sender bei rund einem Drittel der Gesamtausgaben und wird bis Ende 2008 noch aus dem in Bayern erhobenen medienrechtlichen Teilnehmerentgelt bestritten.

Willi Schreiner - Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Lokalrundfunk
Willi Schreiner - Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Lokalrundfunk

Den „Sarg für die mit Herzblut gemachten Lokalradios“ bereits geöffnet sieht Willi Schreiner, Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Lokalrundfunk (VBL). Der Radiomanager aus dem an zahlreichen bayerischen Lokalstationen beteiligten Hause Oschmann fürchtet die Konkurrenz möglicher bundesweiter Sender. Viel zu selbstverständlich werde darüber diskutiert. Schreiner wünscht sich auch ein absehbares Ende der Diskussionen über die zukünftigen digitalen Verbreitungsplattformen und forderte in Nürnberg: „Lasst uns nicht immer was Neues einführen, sondern endlich mit irgendetwas anfangen.“

Zukunft Internet?

Für Rick Jensen, ebenfalls Workshopreferent in Nürnberg, Talkshowmoderator und Programmdirektor der Radiostation WDEL in Delaware, liegt die Zukunft des Radios ohnehin im Internet. Drei von vier US-Bürgern hören bereits online Radio, 2010 soll die Abdeckung in Amerika bei nahezu 100 Prozent liegen. WDEL in Delaware ist bisher die einzige Radiostation in den Vereinigten Staaten, die neben dem Radioprogramm auf ihrer Website auch Videonachrichten und Videoreportagen produziert. Damit ist es dem Sender gelungen, mit seinem Internetauftritt Geld zu verdienen.

Rick Jensen ist Talkshowmoderator und Programmdirektor der Radiostation WDEL in Delaware
Rick Jensen ist Talkshowmoderator und Programmdirektor der Radiostation WDEL in Delaware

Jensen versteht überhaupt nicht, warum sich in Deutschland derzeit alles um die möglichen technischen Plattformen des digitalen Radios und zu wenig um den Hörer und die Inhalte der Programme dreht. „Verkaufen Sie nicht Werbeplätze, sondern den Zugang zur Hörerschaft!“, so Rick Jensen. Eindringlich appellierte er an die deutschen Radiomanager, mehr ins Internet und die Webauftritte zu investieren, selbst wenn derzeit noch keine großen Gewinne lockten. Der Programm-Profi aus Übersee erinnerte an die früheren Jahre, als UKW die Mittelwelle ablöste und eine Erfolgsstory folgte, die bei den anfänglichen Investitionen für diese Übertragungsfrequenzen keineswegs absehbar war.

Den Musikwellen rät Jensen, mehr an die Hörer als an die Playlisten zu denken. Der Rückkanal zum Hörer auch und gerade über das Internet sei immens wichtig, um eine kontinuierliche Beziehung zur Hörerschaft aufzubauen. Im übrigen sei es dem Hörer völlig egal, über welche Plattform, ob digital, per Internet oder über UKW er seinen Lieblingssender empfange. Ihn interessierten generell die Inhalte, das Empfangsgerät würde er sich bei akzeptablen Kosten dann schon besorgen, einfach um dabei zu sein.

Konkurrent Internet?

Auch BLM-Chef Wolf-Dieter Ring wies in Nürnberg mehrfach darauf hin, dass die Nutzungszeiten nach allen aktuellen Online-Studien im Internet sehr stark wachsen, während die so genannten klassischen Medien stagnieren. Die Sender sollten ihre Marke und ihre lokale Kompetenz jetzt unbedingt nutzen, für eine starke lokale Internetplattform: „Beziehen Sie die Nutzer mit ein, setzen Sie auf den Community-Gedanken, lassen Sie die Hörer mitmachen, nicht nur bei Gewinnspielen! Auch wenn Plattformen wie last.fm oder musicovery derzeit noch keine beeindruckenden Reichweiten haben, muss man sie unbedingt ernst nehmen, denn sie stehen für Individualisierung, Personalisierung und Community-Bildung. Dies sind starke Trends zumindest bei der jungen Generation.“

Last.fm

Last.fm ist bereits mehr als ein Geheimtipp. Das Musikempfehlungs- und Online-Radio verfügt über rund 20 Millionen aktive Nutzer in über 200 Ländern und wächst nach eigenen Angaben monatlich um rund 20 Prozent.

Screenshot: last.fm
Screenshot: last.fm

Die Gründer kommen aus Deutschland, Österreich und England. Der US-Medienkonzern CBS übernahm das Unternehmen vor kurzem für 280 Millionen Dollar. Ende Juni startete last.fm eine erfolgversprechende Kooperation mit der reichweitenstarken Online-Plattform des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Seit dem 10. Juli kann die weltweit größte Online-Musikcommunity auch den umfangreichen Musikkatalog von Sony-BMG nutzen.

Link:
Bundeszentrale für politische Bildung

Knapp 1200 Besucher auf den Lokalrundfunktagen

Fazit von BLM-Präsident Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring (mp3) [podcast]https://www.radioszene.de/wp-content/uploads/2010/03/LRFT07_Ring.mp3[/podcast]

Wolf-Dieter Ring im Interview mit Ulrich Köring (RADIOSZENE)
Wolf-Dieter Ring im Interview mit Ulrich Köring (RADIOSZENE)