Wedel Software

Elmar Hörig: „Die Renaissance des Wortes“

Radio Gestern – Radio Heute – Radio Morgen

Vortrag auf dem Schweizer Radio Day in Zürich am 30.08.2007

von Elmar Hörig

Vielen Dank für Ihre Einladung zum Radio Day 2007 in Zürich hier im WTC.

Als ich erfahren habe, dass ich die Ehre habe, im World Trade Center zu reden, habe ich mir kurzfristig überlegt, ob ich nicht direkt mit dem Flieger hierher kommen soll. Habe aber dann den konventionellen Weg gewählt. Obwohl, als ich letzte Woche aus Lanzarote nach Hause geflogen bin, hat uns der Flugkapitän mitgeteilt, dass wir jetzt in den Schweizer Luftraum einfliegen. Da habe ich dann doch leise gebetet: bitte lass bei SKYGUIDE jemand zu Hause sein.

Das Thema des diesjährigen Radiodays in Zürich ist: „Die Renaissance des Wortes“. Wenn etwas Renaissance hat, dann muss es logischerweise vorher gestorben sein. Deshalb meine Frage: ist das Wort im Radio heutzutage tot?

Elmar Hörig auf der "Elmi-Road"
Elmar Hörig auf der "Elmi-Road"

Ich möchte Sie auf eine kleine Reise mitnehmen in meine Welt des Wortes. Als Kind, als Radiogestalter und als Hörer heute. Damit Sie nicht wie bei der Bambiverleihung schon nach den ersten 10 Minuten sanft wegnicken, werde ich meinen Vortrag vier mal unterbrechen – wie bei einer Radiosendung – und Ihnen in der Redepause einen der besten Gitarristen der Welt vorstellen: Antonio Forcione. Viel Vergnügen!

Ich bin als Sohn eines Offiziers in Hamburg aufgewachsen. Mein Vater hatte ein kleines Uher Tonband, auf dem er mit mir Spracherziehung geübt hat. Ich musste Schiller lesen und nachher haben wir uns das angehört. Schiller wäre verzweifelt! Oft habe ich dann nur zum Jux die Bänder umgedreht, und das, was ich dann hörte, hat mir viel besser gefallen. Da lief das Ganze rückwarts und dann machte auch Schiller Spass. Wenn Freunde da waren haben wir lustige Stimmen aufgenommen und auch ab und an einen Furz, den wir dann mir doppelten Geschwindigkeit wieder abgehört haben. Absolut Klasse!

Irgendwann habe ich herausgefunden, dass es am Radiogerät meiner Eltern einen externen Lautsprecheranschluss gab. Heimlich habe ich zwei dünne Kabel zu mir ins Schlafzimmer gelegt, und somit konnte ich abends im Bett Radio hören. Mit dem Ohr am Lautsprecher hörte ich alles, was meine Eltern unten im Wohnzimmer hörten. Hörspiele, die ich zwar nicht verstand, aber ich fand es faszinierend, dass jemand zu mir durch diese dünne Lautsprechermembran gesprochen hat.

Während meiner Schulzeit, die ich in einem Internat verbrachte, hörte ich oft heimlich ein kleines Transistorradio, wenn ich nicht einschlafen konnte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich dort zum ersten Mal die Beatles gehört habe. Ich bin fast aus dem Bett gesprungen vor Freude. Oft ist es vorgekommen, dass ich mit dem Plastikknopf im Ohr eingeschlafen bin.

Mit meiner ersten grossen Liebe fuhr ich 1970 nach Jugoslawien. Es war der erste Urlaub in meinem Leben und als wir unter Tränen schwer verliebt wieder nach Hause aufbrachen, habe ich das Autoradio angeschaltet und dort kam auf Mittelwelle Radio Luxembourg. Ich erinnere mich an den Titel heute noch: Marmalade mit Rainbow! Es fühlte sich so heimisch an, obwohl wir nicht viel verstanden von der Moderation, weil sie in Englisch war. Aber irgendetwas von der Stimmung hat uns berührt und obwohl der Empfang schlecht war, blieben wir bei diesem Sender.

1975 lebte ich zwei Jahre in London. Mein Vater hatte mir zum Abschied ein kleines Weckradio gekauft, das neben meinem Bett stand. Das war der letzte Schrei damals. Statt einem blöden Wecker, der bimmelt, wurde man mit Musik geweckt. Fantastisch! Ich suchte mir ein passendes Radioprogramm und war überrascht, wie gut die Musik in London war. Bei uns gab es damals nur Rundfunkorchester, Schlager, langwierige Nachrichten und Geschwafel. Ganz anders in London. Ich verstand nicht viel, aber ich ertappte mich, dass ich immer öfter einen bestimmten DJ hörte, der mit dem wie er etwas sagte, bei mir ein völlig neues Radiogefühl erweckte. Sein Name: Kenny Everett. Dieser Bursche konnte eine Sendung moderieren, wie ich es vorher noch nicht gehört hatte. Oft bin ich nach Hause gerannt, um den Anfang seiner Sendung nicht zu verpassen. Später habe ich dann eine Tonbandmaschine gekauft, um seine Sendung aufzunehmen. Wieso? Ich weiß es nicht. Irgend etwas hat mich total fasziniert an der Art und Weise, wie er sein Programm gestaltete.

1977 habe ich meine Pläne, ein Rockstar zu werden, mangels Talent, aufgegeben und bin mit meiner Gitarre und ca. 50 LPs in meinem alten VW Käfer wieder heimgefahren. Ein wenig bange war’s mir schon um meine Zukunft, denn mit 50 LPs kommt man ja nicht weit. Ich konnte nicht ahnen, dass unmittelbar vor den LPs etwas stand, das ich komplett vergessen hatte: das Tape mit den Aufnahmen von Kenny Everett. Es sollte bereits drei Jahre später mein Leben völlig verändern.

Radio Gestern

Ich bin 1980 zu einer Probesendung bei SWF3 gekommen, weil ich geschwindelt habe: ich hätte Radio-Erfahrung in England gesammelt und ich hätte da so ein paar Ideen…

Diese Probemoderation war wohl das Schlechteste, was je dort abgeliefert wurde, aber ich habe den Job bekommen und das Kuriose dabei war, ich lernte bereits am ersten Tag viel über menschliche Psyche: Angst und den Mangel an Zivilcourage. Statt aufzustehen und zu fragen, was dieser Typ hier eigentlich will, haben alle betreten geschwiegen und so hat der damalige Sendechef für sich alleine entschieden, mir eine Chance zu geben. Es hat sich für mich und für das Programm mehr als ausgezahlt.

Ich hatte schnell begriffen, worum es damals im Radio ging:

Bleib kurz!

Wenn du nichts zu sagen hast – sag nix!

Sei ständig auf der Suche nach Neuem!

Wie gelingt es uns eine unverkennbare Hörlandschaft zu schaffen, die uns als Original auszeichnet?

Moderieren Sie nicht aufgesetzt!

Jede Form der Comedy war willkommen, wenn sie eine echte Alternative zur normalen Moderation darstellte. In einem perfekten journalistischem Umfeld konnte ich als Unterhalter experimentieren. Es hat Spass gemacht und das hat man gemerkt. Wir waren arrogant – vielleicht sogar ein wenig frauenfeindlich – aber wir haben uns das geleistet. Wir sind nicht vor den Hörern gekniet. Wir haben den Hörern gesagt, wo sie stattfinden, den Rest haben wir selbst entschieden. Ja wir hatten das Rückgrat zu sagen: wir sind das Radio – ihr die Hörer und dabei bleibt´s! Basta.

Ich hatte Erfolg, weil ich genau das gemacht habe, was mein Bauch mir gesagt hat – ich war echt. Ich habe oft, wenn es grenzwertig wurde, und das passiert schnell in Deutschland – das feedback bekommen: „ja, so denken eigentlich die meisten“. Ich habe das nicht gezielt gesagt – sondern einfach, weil ich so bin. Als ich meine eigene Radio Show 1985 zum ersten Mal moderiert habe, kam Kritik aus dem Hause : „Er spielt ja nur Hits.“ Ich fragte: „Was ist daran denn falsch?“ Ich hatte Format in jeder Beziehung. Ich habe die Hits nur nicht jeden Sonntag wieder gespielt. Ich habe ein Überraschungselement auch in der Musik gelassen. Um Interesse zu wecken. Was bei mir lief, waren gute Radiotitel. Ein Opener ist meine Visitenkarte für die Sendung gewesen, das muss sitzen, sonst kommst du nicht in die Gänge! Heute? Vergessen wir das!

Ich war sehr fleissig – und ich war Perfektionist – es hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich es so hatte, wie ich glaubte, es sei jetzt gut! Ich habe immer alleine gearbeitet. Ich war kein teamfähiger Mensch. Aber ich habe für das Team gearbeitet und das wurde immer respektiert. Wenn keiner moderieren wollte, ich hab’s gemacht! Mit meinem Studio, das ich aus England importiert hatte, war ich technisch allen anderen um Jahre voraus! Das war ein weiteres Plus. Oft erst 5 Minuten vor der Sendung war ich fertig und das, was ich danach gesendet habe, war dann auch für mich immer sehr frisch! Wenn meine Assistentin Gabi gelacht hat, dann wusste ich – geil, es hat dem Hörer auch gefallen!

SWF 3 hatte ein gutes Netzwerk untereinander – weil wir verstanden haben – wie Radio gehen könnte. Ich konnte gut mit den Hörern und vor allem mit Musikern, die ich bewundere. Man hatte das Gefühl, dass ich diese Musiker schon lange kenne. Beispiel James Taylor. Wir sind versunken in unserem Wort – beide! Das ist die Magie des Wortes, die heute nicht mehr geboten wird. Oder man lässt sie einfach nicht mehr zu.

Es war alles möglich in Moderation und Musik. Wir konnten mit Musik unsere Stimmung vermitteln. Es hat alles aufeinander gepasst. Ich habe stundenlang getestet, ob Musiktitel aufeinander passen – oft noch während der Sendung geändert. Ich habe mich treiben lassen bei der Moderation mit meinem Wort, weil ich wusste, ich durfte es, und es wurde erwartet. Ich habe mir ab und an 3 Worte aufgeschrieben, nur für den Fall dass ich den Faden verliere, aber ich habe immer einen Ausweg gefunden. Man hat das oder man hat es nicht, das wurde mir mit der Zeit bewusst – wie beim Fussballspielen – du kannst es, oder eben nicht!

Ich wurde zur „Radiopersonality“, weil man dieses Talent erkannt hat und es zugelassen hat. Ich versichere Ihnen, ich hätte heute keine Chance mehr, wenn ich noch mal beginnen müsste. Ich bin immer über die Grenzen gegangen und habe dafür immer wieder eine ins Kreuz gekriegt, aber es war mir wurscht. Ich hatte eine Vision in einem gigantischen Medium, mich auszuleben und den Hörer daran teilnehmen zu lassen. So, dass es ihn unterhalten hat. Ich habe nie auf eine Zielgruppe geachtet! Ich habe gehofft. Julia Neigel, damals 16, genauso wie Heiner Geißler, der mir erzählt hat, dass er seine Fahrt nach Bonn so gelegt hat, dass er meine Show hören konnte, das hat ihm die Zeit verkürzt.

Aber es ist in Deutschland so: wenn etwas nicht mehr zu kontrollieren ist, dann zerstört man es. Wir waren als Programm den Politikern ein Dorn im Auge, weil wir die besten Moderatoren hatten und die besten Journalisten. SWF3 ließ sich nicht in die Karten schauen, wir waren journalistisch korrekt, schnell und immer brandaktuell. Lange ging das gut, dann aber Ende der 90er hat man SWF 3 geopfert und, um das Team zu verängstigen, hat man Ihnen die Gallionsfigur abgeschossen und Ihren Ziehvater in Rente geschickt, und dann hat man fusioniert, was nicht fusionierbar war. Und dann hat man auch noch zu allem Überfluss – völlig ohne Not – die Privaten kopiert. Und seither klingt das Programm auch so. Leider! Sie sehen meine Damen und Herren, mein Herz hängt noch immer dort.

Nach nun mittlerweile 8 Jahren Privatradio sehe ich, wie gut wir eigentlich damals waren. Wie gesagt, das war Radio früher.

Radio Heute

Ich weiß nicht, wie es Ihnen als Hörer geht, wenn Sie im Auto unterwegs sind. Man hat den Eindruck, dass Radio heute zu einer Losbude verkommen ist. Zu einem El Dorado für Medienberater. Radio wird zunehmend nicht von innen bestimmt, sondern von außen. Und das ist einer der Gründe, wieso sich das Radio von heute in einer Sackgasse befindet. Radio ist zunehmend bedeutungslos geworden. Es könnte aber ein so mächtiges Medium sein, wenn man es nur wieder zulassen würde. Lieblos aneinander genagelte Musiktitel – alle getestet natürlich – werden spätestens alle zwei Stunden wiederholt, meistens früher. Oft auch noch verstümmelt, damit das „backtiming“ hinkommt oder noch mehr Platz für ein Hinweis für das grandiose Gewinnspiel ist, bei dem man 200.000 Euro gewinnen kann. Liebe Radioschaffende: Sie haben das alles mit getragen. Ich habe in 3 Jahren bei einem Privatradio die Söhne Mannheims ca. 9000 Mal gespielt. Das verbrennt den schönsten Titel auf ewig.

Man entkommt diesem Format nicht mehr als Hörer und als Moderator. Ich habe Freunde, die hören – und jetzt halten Sie sich fest – Deutschlandfunk. Sie sagen: „dann bin ich wenigstens informiert“. Eigentlich sollte ich jetzt Weihwasser auf mein Mikrofon schütten. Das muss man sich mal reintun: Deutschlandfunk!

SWR1 hat endlich begriffen, wo es musikalisch hingehen könnte, aber welch langweilige, verschnarchte Moderation. Hier stirbt das Wort gerade wieder. Friede der öffentlich-rechtlichen Asche! Ich will als Hörer was zum Lachen haben, ich will Stimmung, auch Information, wenn sie denn interessant vorgetragen wird, und das Wichtigste: ich möchte es von jemandem vorgetragen bekommen, der es kann! Das ist Wort!

Und wenn es in diesem Ozean von Backsellern, Teasern, Promos und sensationellen Live-Schaltungen ins Verkehrscenter mit Stauorgien, die künstlich aufgeblasen werden, gefolgt vom Wetter-Man oder der Tiefdrucktussi würde mich nicht wundern, wenn eines Tages noch ins digitale Zeitrechenzentrum umgeschaltet würde zur Sekundenfee… Wenn dann noch Platz ist für eine dieser so wichtigen Wortinseln, dann werden diese hemmungslos überschwemmt von Worthülsen, die von einer Linercard abgelesen werden! Man gibt sich erst gar keine Mühe, Beiträge aufzupeppen. Dabei sind die Moderatoren alles andere als blöd, sie scheinen nur verängstigt und eingegrenzt.

Alle Moderatoren klingen gleich und vor allem alle Moderatorinnen. Gabi, wie Jaqueline und die wie Anette. Fröhlich, unecht, verhalten, überfreundlich, manchmal auch freudlos verkichert. Dadurch als logische Konsequenz leidet das Wort. Ich höre junge Menschen Formulierungen absondern wie: „Wir bringen Ihnen einen Hit zu Gehör“, „Wir werfen einen Blick auf die Uhr“, „Die Sendung neigt sich dem Ende zu“, “ Der Event wirft seine Schatten voraus“, „Werter Hörer“… Und das Schlimme ist: sie meinen es ernst! Das ist ihre Sprache! Während sich draußen die Sprache gerade dramatisch verändert, sprechen sie wie anno dazumal. Bei Themen die sexuellen Hintergrund haben, Reaktionen wie: „Sex oooooh Bett! oh je Kondömchen Huch!“ Das ist verklemmt! Verzopfte Sprache bei dynamischen, jungen Volontären, äh Moderatoren wollte ich sagen. Wieso? Interviews: alle voraufgezeichnet! Wieso? Bitte nur kein Risiko. Lieber Gott lass die Cart Leiste nur einmal hängen, wenn sie ihre Frage abgelesen hat. Dann kann sie zeigen, was sie radiotechnisch auf dem Kasten hat. Wenn mein Kollege Patrick Lynen – der als Medienberater tätig ist, weil man sein Wort als Moderator scheinbar fürchtet – Moderatoren testet, dann lässt er sie in Pannen laufen und dort zeigt sich dann, wer was kann. Denn in diesen Grenzsituationen des Wortes findet man den Radiomann, der lebt, vorausgesetzt, man will ihn heute noch finden. Natürlich auch die Radiofrau. Denn das Böse ist ja, die wenigen Leute, die es können, kosten Geld und man muss sich hin und wieder mit dem, was sie sagen, auseinandersetzen. Äußerst lästig!

Programme wie sie heutzutage angeboten werden, sind einfach nicht mehr durchhörbar, ohne dass man bleibende Schäden nimmt. Dadurch, dass man den Moderatoren beim Wort alle Ecken und Kanten genommen hat, sind sie austauschbar geworden. Das ist konservativ und feige. Ein Schlag gegen das Medium Radio. Liebe Chefs von Radioprogrammen, sie sind doch immer auf der Suche nach Radiopersönlichkeiten, aber sie finden sie nicht. Es kommt vielleicht daher, dass sie das gar nicht wirklich wollen. Wenn jemand tatsächlich zur „Personality“ heranreift, dann verbannen sie ihn in die Nacht oder werfen ihn gleich raus.

Ich habe vor kurzem ein Interview von einer „Ich mache Radiopersonalities für Sie – Rufen Sie an! – auch nachts!“ – Pseudo-Coach-Frau gelesen. Auf die Frage, wie sie denn die Personalities in Grenzsituationen coached, antwortete sie: „Ich finde einen gemeinsamen Kompromiss mit den Personalities. Ich sage: Ihr dürft alles sagen, außer Bemerkungen über Behinderte, Randgruppen oder Körperflüssigkeiten. Und das geht dann auch gut!“ Meine Antwort auf diese Formulierung als Radio- Personality wäre gewesen: „Hallo – Und was ist mit Tränen? Hä? Ich geh´ jetzt moderieren, kümmern Sie sich besser um die Getränke. Danke fürs Gespräch!“ Da fängt es doch erst an, interessant zu werden. So viel Flüssigkeiten hab ich gar nicht, wie ich hier spucken will.

Und selbst wenn der optimale Fall eintritt, dass sie einen Personality-Moderator haben, dann gibt es ja immer noch das Gewinnspiel, das ihn komplett verhindert. Wenn man der Statistik glauben darf, nimmt bei manchen Radioprogrammen dieses Gewinnspiel 65% der Moderation in Anspruch, der Rest ist Wetter und Banane. Das wird bis zur Besinnungslosigkeit penetriert und würgt jeden noch so zaghaften Ansatz zu einem unterhaltsamen Radioprogramm ab. Gewinnspiele sollen zwei Bedingungen erfüllen: erstens Kohle machen und zweitens Hörerverweildauer erhöhen. Welch ein Armutszeugnis, wenn ich Hörer nur damit halten kann. Gewinnspiele haben ein Problem: sie nerven, sind inflationär und sie sind durchweg getürkt, ohne einer Bevölkerungsmehrheit damit auf die Füsse treten zu wollen.

Was ist mit unserem Wort passiert?

Wieso ist Radio so, wie es heute ist? Ganz einfach – es ist wie bei der Strom-Mafia: die Anbieter sind sich einig. Man könnte das Radioprogramm in Deutschland umbenennen in „Freundlichkeitszwangprogramm“. Alles schön bunt hier! Man hat das Gefühl, dass die Moderatoren den Hörern nur ins Ohr kriechen wollen. John Lennon hat recht: Leute reden Müll, weil sie der Realität nicht ins Auge sehen können. Diese aufgesetzte Fröhlichkeit, diese Schleimerei, springt mich förmlich an und lässt mich erstarren als Hörer und zudem beleidigt sie meine Intelligenz. Denken Sie denn die Hörer sind doof? Ja, das scheinen Sie zu denken! Aber ich frage: wenn da draußen von 11 Millionen Hörern tatsächlich 30% einen IQ haben, der unter dem einer Wassermelone liegt, muss man dann zwangsläufig ein bescheuertes Programm machen? Radio für Vorstadtdeppen?

Man hat das Gefühl, dass die hochbezahlten Radio-Consulter, vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen, den Rat geben: „Ihr müsst nichts richtig machen – aber um Gottes Willen, macht nichts falsch! Nur nicht anecken.“ Das ist feiges Radio. Gute Nacht. Der Sender SWR3 hat – entgegen der Beratung – sein Musikformat erweitert, und endlich, nach 8 Jahren, kann man dieses Programm musikalisch wieder respektieren. Und wenn sie den Mut hätten, im Wort mehr zuzulassen, könnten sie annäherungsweise an das alte Original heranreichen. Wenn sie Mut hätten, könnten sie links und rechts alles plattmachen. Wenn sie nur wollten und wenn der politische Einfluss das nicht verhindern würde. Aber sie machen sich lieber in die Hosen, als einen Moderator einzustellen, der „Tacheles“ redet. Das wäre das Heilmittel für das Wort. Wenn sie es denn wirklich auferstehen lassen wollen.

Seit 6 Jahren sinken die Zahlen kontinuierlich im Radio und vor allem im Privatradio und was tut man? Nix! Man redet sich diesen Sendemüll auch noch schön. Offensichtlich haben sie alle am Hörer vorbeigesendet, außer natürlich Antenne Bayern! Ha, ha! Auch hier wird man bald ein Waterloo erleben, alles zu seiner Zeit. Nicht nur am Hörer vorbei, sondern auch an den Mitarbeitern. Ich habe nachgefragt. Fast alle ehemaligen Kollegen senden zwar, hören aber ihr eigenes Programm nicht mehr. Das ist eine mittlere Kapitulation! Wie wollen sie eine Radio-Personality bekommen, wenn er nur hinter einem Modbett stattfindet, das unaufhörlich vor sich hinhämmert. Wo bitte ist Platz für Gefühlsregungen oder wie man heute sagt: Emotions. Ich kann mit 2 Sekunden Ruhe oft mehr sagen als ein anderer in drei Sätzen. Da wir gerade davon reden: Ich mach mal Pause!

Radio morgen

Hat das Wort noch eine Chance?

Wir sind noch nicht auf der Talsohle angelangt! Fürchte ich. Das nächste große Ding ist: Voicetracking. Das dürfte die letzte Tortur sein, die dem Wort angetan wird. Dann ist überhaupt kein Mensch mehr im Studio, es sei denn, der Techniker lötet gerade was. Kann man sich noch weiter vom Hörer entfernen? Herr, lass dieses Voicetracking schnell an uns vorübergehen! Die Zahlen werden noch weiter sinken! Die Gewinnspiele werden sich nicht mehr tragen, weil auch der Blödeste, nachdem er zum 10. Mal seine Hartz 4-Bezüge auf den Kopf gehauen hat, merkt, dass meistens nur Frauen mit 2 Kindern gewinnen, weil die mehr Emotionen zeigen, wenn sie 100.000 Euro einsacken. Bei RPR gibt es einen Hörer, der hat 4500 Mal angerufen und sich mit Recht beschwert, dass er nicht einmal durchgekommen ist. Manche brauchen das. Ich habe des Öfteren Hausfrauen getröstet, die mehr als 800 Euro vertelefoniert hatten und fürchteten, dass ihr Alter ungemütlich wird: „wenn des mei Mann erfährt“…Tja!

Ich habe das Gefühl, dass die meisten Radiolizenznehmer das Projekt Radio schon abgeschrieben haben und schnell noch Kasse machen, bevor sie den Kahn versenken. Nach uns die Sintflut.

Kritiker sollten nicht nur meckern, sondern auch Vorschläge machen.

Hier sind meine:

1. Öffnen Sie das Musikformat!

Machen Sie Ihr Musikformat breiter. Wieso darf ein Titel aus den 60ern nicht stattfinden, der absolut radiotauglich ist? Sie werden auch um die 60er nicht mehr herumkommen. Vintage ist die neue Moderichtung, die aus England auch zu uns herüberschwappen wird. Hörer wird es wieder interessieren, wer die Yardbirds waren, und wieso Clapton da nur kurz war.

In der Kaffeekette Starbucks läuft nur die Musik der 60er und 70er. Schöne Musik. Zielgruppe von 20 bis 60. Vergessen Sie die blöde Beschränkung 14-49. Wir sind es, die „Überfünfziger“ (ÜFÜS), die Kohle haben. Ich möchte unterhalten werden. Mir gefällt die Musik von heute genau so wie die aus den 60ern, 70ern, 80ern, 90ern. Stecken Sie sich Ihre “Die Besten Hits von heute und das Geilste aus den 80ern“ in Ihr altes Röhrengerät. Machen Sie einfach Musik, die schön ist. Setzen Sie da wieder Menschen hin und keinen Computer.

Der Sender WCBS hat die Hits der 80er und 90er gespielt und auf Moderation verzichtet. Hörerverlust 30%. Hörer zeigt Flagge! Geilomat sag ich da. Sie beschäftigen jetzt wieder Menschen dort und siehe da, die Zahlen steigen!

Haben Sie Mut zum Wort! Nutzen Sie dieses immer noch schnelle Medium, um zu überraschen. Binden Sie Ihre Hörer nicht durch leere Versprechungen, sondern mit einem inhaltsvollen Programm!

Hören Sie zur Abwechslung mal Ihr Programm auf Zwischentöne wie Hammerblenden und verkorkste Jingles, die zu allem passen, nur nicht auf die folgende Musik. Hauptsache „Station ID“, alles andere ist wurscht. Eben nicht!

Radio ist mehr als Marketing. Das muss Hand in Hand gehen. Diese Dinge bleiben unterbewusst beim Hörer hängen. Fühle ich mich hier wohl, oder möchte ich was anderes hören?

2. Holen Sie die Altmoderatoren wieder!

In England hat man gemerkt, dass man mit jungen Moderatoren nicht mehr weiterkommt. Man holt die Alten wieder und sie sind gut. Die können das!

Radio klingt da wieder. Sie berühren mich mit ihrem Wort. Da findet sie statt, die Renaissance des Wortes. Sie werden die paar Altmoderatoren hierin mit der Lupe suchen müssen, und wenn Sie sie haben, dann binden Sie Ihre jungen Mods an diese alten Knochen an, dass aus Ihrem Nachwuchs Radioleute werden und keine Autoverkäufer!

Mein ehemaliger weiblicher Sidekick hat dieses Talent, das sagt mir mein Bauchgefühl, und wenn ich entscheiden könnte, würde ich sie mit ihrer Freundin zusammen in eine Sendung stecken, die ich “ Die zwei Hühner“ nennen würde. Ich würde ihnen sagen: „Redet einfach so, wie euch der Schnabel gewachsen ist“. Sie wären authentisch und deshalb auch hörbar. Zur Zeit verhungert sie gerade als Sidekick in der Morning Show. Es ist die Wortschere im Kopf der Programme, die es den Gestaltern so schwer macht und das Radio so eintönig.

3. Machen sie die Gewinnspiele intelligent!

Machen sie die Gewinnspiele intelligent, damit ich tatsächlich, wenn ich was weiß, eine echte Chance habe zu gewinnen. Es muss nicht 1 Million Euro sein. Der Hörer freut sich auch über 500 Euro, und lügen Sie die Leute nicht an, dass Sie die Leitung 17 jetzt auch noch frei schalten. Sie haben nur 5 Leitungen, wovon eine sowieso immer kaputt ist. Ich war dort!

4. Nutzen Sie das Überraschungsmoment im Radio!

Machen Sie etwas Unerwartetes. Wecken Sie die träge Masse da draußen auf. Sie werden es Ihnen danken. Man kann Hörer erziehen, unglaublich aber wahr. Wer ein wenig unnahbar ist, ist begehrt. Das sind einfache Strukturen. Howard Stern zeigt für seine Hörer milde Verachtung und sie fressen ihm aus der Hand. Sie halten ja die Hörer eh für doof, sonst würden Sie nicht diese Art der Programme anbieten, also machen Sie doch mal: wir sind das Radio – wir sind das Wort – Sie bleiben die Hörer. Und wie wär’s denn mit folgendem Slogan: „Von den 10 guten Moderatoren, die es in Deutschland noch gibt, haben wir 4! Tune in! Radio to talk away!”

Nochmals zu Howard Stern: Sein Fan hört ihn 20 Minuten. Der Hasser hört zwei Stunden, nur um zu hören, was er jetzt wieder sagt und um sich beschweren zu können. Howard Stern hätte keine Chance in einem Radioprogramm in Deutschland zu moderieren, weil man das Wort hier fürchtet. Ich gäbe ihm drei Tage, dann wären sämtliche Rundfunk-Medienräte auf der Matte und würden dafür sorgen, dass DAS sofort aufhört. Howard Stern ist Wort. Der Durchschnitts-Ami gilt als noch doofer als wir. Also auf gehts. Haben Sie keine Angst vor dem Wort. Auch Ärger, meine Damen und Herren, ist eine Emotion.

Ich bin nicht zufällig noch heute in den Köpfen der Menschen. Ich habe polarisiert und gleichzeitig damit sehr gut unterhalten, in jeder Richtung.

Und der Tenor war immer: „ha, der isch ehrlich, der sagt, was er denkt – und eigentlich hat er auch recht“. Und dann gab es einige, die konnten nichts mit mir anfangen und haben mich verachtet. Gut so, ich habe eine Reaktion erhalten. Darum geht es beim Wort.

6. Werden Sie wieder ein echtes Radio!

Werden Sie „live“! Ich möchte als Hörer einen Menschen, der mit mir spricht, auf den ich warte, der mich zum Lachen bringt oder zum Nachdenken. Der Hörer, der auf den Parkplatz fährt und die Sendung zu Ende hört, weil es ihm gefällt, diesen Hörer habe ich gewonnen. Weil das Medium wieder lebt. Weil der Mensch dort am anderen Ende meines Radios bei mir ist – in echt! Ich brauche keinen Coach, der Hörer coached mich, indem er sich an mich erinnert.

Die heutige Zeit ist sehr schnelllebig, und wenn wir im Radio nicht auf der Hut sind und umdenken, wird das Radio weiter an Bedeutung verlieren und es läuft Gefahr vom Internet oder anderen Medien überholt zu werden. Radio wird mit dem Wort, wenn Sie es denn zulassen, stehen oder entgültig fallen. Das gilt für Private mehr als für Öffentlich-Rechtliche, denn die machen sich ihre Pfründe nicht kaputt. Geben Sie dem Wort eine Chance, eine Renaissance zu erleben! Dann lebt auch Ihr Radio wieder. Wort kann so viel bewegen.

Ich habe einen Traum, dass es uns gelingt, Radio wieder zu dem zu machen, was es einmal war: ein schnelles, informatives, interessantes, unterhaltendes, auch lustiges Medium, mit Menschen, die mit mir als Hörer reden. Mein Traum ist der Hörer, der wieder sagt: „Ruhe mal! Er moderiert gleich wieder! Müsst ihr unbedingt hören!“

Ich habe einen Traum, dass das Wort im Radio wieder Bedeutung erlangt.

Ich habe den Traum, dass Radio nicht nur als Marketing gesehen wird, in den Händen von Consultern, die in der Zielgruppe der 25 – 28-jährigen Taubstummen noch Bedarf vermuten.

Ich habe den Traum, dass Radio wieder von innen gemacht wird von begeisterten Verrückten, die einen Heidenspaß dabei haben, etwas Kreatives zu schaffen. Wenn es Ihnen gelingt, nur einen kleinen Teil davon umzusetzen, was ich Ihnen eben aufgezählt habe, dann…

…dann wird irgendwann wieder mal ein kleiner Junge abends im Bett liegen und an seinem digitalen Radio drehen und sich darin verlieren, so wie ich damals und sagen: „Toll! – krasse Sprechbox hier. Schön, dass es dieses Medium gibt.“ Das würde ich für das deutschsprachige Radio wünschen.

Viel Erfolg und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Der SWF3-Schwarzwaldelch in den 80ern
Der SWF3-Schwarzwaldelch in den 80ern
XPLR: MEDIA Radio-Report