Besinnliche Stunden über das öffentlich-rechtliche System

Bitterlemmer

Hard Reset. Alles noch einmal ganz von vorn. Kostet nur ein kleines bißchen Fantasie: Stell Dir vor, es hätte niemals öffentlichen-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gegeben. Würden wir ihn so erfinden, wie er heutzutage aussieht? Vergessen wir einfach mal die staatstragende Rhetorik und betrachten mit gesundem Menschenverstand den heutigen öffentlich-rechtlichen Zustand.

Nehmen wir z.B. den Begriff der Staatsferne, den die öffentlich-rechtlichen Anstalten für sich beanspruchen. Staatsferne? Öffentlich-rechtliche Anstalten besitzen zwei Führungsinstanzen: Den Rundfunkrat (beim ZDF Fernsehrat genannt) und die Intendanz. Die Mitglieder der Rundfunkräte wählen den Intendanten. Wer Rundfunkrat wird, bestimmt die Politik, und zwar auf ganzer Linie. Da gibt es einerseits die Vertreter der Landtage – das sind ungetarnte Politiker, nicht staatsfern. Des weiteren gibt es die Vertreter der „gesellschaftlich relevanten Gruppen“. Dazu gehören Organisationen wie Kirchen oder Gewerkschaften, denen gerade scharenweise die Mitglieder davonlaufen. Wer gesellschaftlich relevant genug ist um im Rundfunkrat vertreten zu sein, das bestimmen natürlich auch die Politiker (staatlich, nicht staatsfern). Intendant wird am liebsten immer jemand, der das mehrheitsfähige Parteibuch besitzt oder sich zumindest als „nahestehend“ zu einer Partei bekannt hat. Sind Parteien staatsfern? Höchstens insofern, als sie bestimmen, was im Staat geschieht. Tatsächlich stehen die Parteien über dem Staat.

Nehmen wir die Gebührenfinanzierung. Wären ARD und ZDF staatlich, müßten sie auch staatlich finanziert werden, also aus Steuern. Werden sie das? Offiziell natürlich nicht. Aber offiziell ist nur der Anstrich. Rundfunkgebühren muß gesetzlich jeder zahlen. Die Anstalten dürfen die Gebühren selbst bei den Bürgern abkassieren und haben dazu die GEZ gegründet. Die soll demnächst zur größten Datensammelstelle Deutschlands ausgebaut werden, mit Zugriff auf sämtliche Meldedaten der Bürger. Hinter der Fassade sieht das eher nach einem gigantischen Rundfunkfinanzamt aus, das eine Rundfunksteuer einzieht.

Wieviel Geld das System bekommt, sucht es sich selbst aus. In den Anstalten planen die Experten, was man so alles an Programmen und sonstigen Dingen gern hätte, errechnet die Kosten und reicht die an eine öffentlich-rechtliche Kommission, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF). Die KEF berechnet, wie hoch die Rundfunksteuer sein muß, die jeder zu zahlen hat. Genehmigt wird die Gebühr von den Landtagen (staatlich). Zur Zeit poltern einige Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber in Bayern, die geplante Gebührenerhöhung falle zu hoch aus und werde nicht durchgehen. Das ist nett, ändert aber nichts: Denn die Sender berufen sich dann immer auf die gesetzlich garantierte Entwicklungs- und Bestandsgarantie, die die Erhöhung leider unausweichlich mache. Was passiert, wenn doch einmal ein Landtag eine Gebührenerhöhung verweigern sollte, ist unklar. Den Fall gab es noch nicht.

Kommen wir zum Programmauftrag. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind für die Grundversorgung da. Grundversorgung bedeutet heutzutage in Deutschland keineswegs so etwas Profanes wie Wasser, Brot oder Wohnung, sondern die Kombination aus Information, Bildung und Unterhaltung. Damit Information, Bildung und Unterhaltung zur Grundversorgung zählen, müssen sie halt nur von öffentlichen Sendern stammen. Öffentlich-rechtliche Grundversorgung findest Du z.B. hier (http://www.ard.de/boulevard/horoskop/). Nicht zur Grundversorgung gehört, was FAZ und Bild, RTL und NTV, Spiegel und Coupé und natürlich sämtliche Privatradios machen. Weil die öffentlich-rechtlichen Sender dank ihrer Grundversorgung das Überleben der Menschheit sichern (sonst könnte man es einfach Versorgung nennen), genießen sie das Privileg, sich aus Rundfunksteuern zu finanzieren.

Jetzt also zurück zur Ausgangsfrage: Brauchen wir all das? All diese Rundfunkräte, Intendanten, Verwaltungsapparate, die GEZ, das ARD-Horoskop? Diese Frage meiden die Politiker wie den Leibhaftigen. Statt dessen fummeln sie an marginalen Reformideen. Ein paar Euro Kosten einsparen, die sich komischerweise nie auf die Rundfunkgebühr auswirken. Müßte die jetzt nicht eigentlich sinken, nachdem SFB und ORB zur RBB fusioniert sind? Oder kostet die eine neue Anstalt jetzt einfach dasselbe wie vorher die beiden Separatanstalten? Es sieht wohl eher so aus, als habe sich das System verselbständigt.

Wie könnte man es also wieder einfangen?

Durch Tabubruch.

Liebe Medienpolitiker: Denkt doch einfach mal von Null darüber nach, ob und – falls ja – welche Form des öffentlichen Rundfunks wir wirklich brauchen. Formal: Muß es eine derart verschachtelte und komplizierte Struktur sein? Oder darf die öffentliche Hand vielleicht auch offiziell der Träger des öffentlichen Rundfunks sein? Programmlich: Muß der öffentliche Rundfunk wirklich in jedem Bundesland den Hitradio-Mainstream der Privatradios kopieren? Mit denselben Konzepten und Inhalten? Warum soll ein öffentlicher Rundfunk nicht viel mehr experimentieren dürfen? Einfach immer mal wieder etwas wirklich Neues ausprobieren? Ohne Verpflichtung auf schnelle Quote? Ein solcher öffentlicher Rundfunk könnte Trends setzen statt sich auf fahrende Züge aufzuschwingen. Es wäre ein öffentlicher Dienst im Wortsinn, dessen öffentliche Finanzierung dann auch außer Diskussion stünde. Gesellschaftlich relevanter Rundfunk statt gruppenrelevantem Proporz.

Hören wir auf, „die Hörer“ kollektiv zu entmündigen. Sonst tun die das einzig intelligente: Immer weniger Radio hören. Öffentlich wie privat.

Lemmer

Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de