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Wolfgang Gushurst: Gehe mit einem guten Gefühl

Wolfgang Gushurst (Bild: ©SWR)
Wolfgang Gushurst (Bild: ©SWR)

Der Südwestrundfunk (SWR) macht Ernst bei der Einrichtung multimedialer Programmstrukturen. In verschärftem Tempo arbeitet der Sender an „thematisch und medienübergreifend aufgestellten Programmeinheiten“. Trimedial soll sie sein, die neue Sendewelt von morgen – und soll die bislang noch getrennt agierenden Bereiche Hörfunk, Fernsehen und Online möglichst bald in einer Unit vereinen. Für dieses Ziel werden nun in zahlreichen Programmbereichen veränderte Organisationsformen eingerichtet, so auch für die – aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Anstalt – eminent wichtigen Bereiche „Kultur“ und „Wissen“.

Peter Boudgoust Intendant des Südwestrundfunks SWRSWR-Intendant Peter Boudgoust: „Der multimediale Umbau des SWR geht weiter in großen Schritten voran. Ein zentraler Bestandteil dabei ist die Zusammenführung der Bereiche Kultur, Wissen und SWR2 zu einer multimedialen Einheit. Dies bietet die Chance, dass Kultur- und Wissensthemen ein breiteres Publikum finden können. Der SWR wird damit Kultur- und Wissensinhalte noch besser zielgruppengerecht auf alle Platt-formen bringen.“

Als Leiter des neuen Programmbereichs wurde zum 1. Februar 2017 mit Dr. Wolfgang Gushurst ein langjähriges SWR-Eigengewächs berufen. Der 45-Jährige gebürtige Baden-Badener hat Musikwissenschaften, Soziologie und Erziehungswissenschaften in Heidelberg studiert und ist seit 1993 journalistisch tätig, zunächst als freier Mitarbeiter in der Musikredaktion von SWR3. Ab 2001 leitete Gushurst die Musikredaktion von DASDING. Als Redaktionsleiter DASDING und später dann als Programmchef entwickelte er ab 2003 Hörfunkmagazinsendungen und monothematische Spartensendungen, schärfte das Nachrichtenprofil für junge Zielgruppen und baute die Onlineredaktion aus. 

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DASDING beinhaltet heute einen vergleichsweise hohen Anteil an ambitionierten Wort-redaktionellen Inhalten. Auszeichnungen mit dem Grimme Online Award (2002) sowie dem Kulturpreis Deutsche Sprache (2005) waren Ergebnis dieser Arbeit. 


Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich zieht Dr. Wolfgang Gushurst eine Bilanz seiner Zeit beim Jugendradio DASDING. 

RADIOSZENE: Nach einer langen Zeit beim Jugendradio DASDING wechseln Sie nun – quasi als Kontrastprogramm – in den Kulturbereich des SWR. Welche Aufgaben werden Sie dort künftig übernehmen?

Dr. Wolfgang Gushurst: Aktuell baut der SWR ja seine Strukturen zu multimedial agierenden Einheiten um. Mein neuer Bereich Kultur, Wissen, SWR2 umfasst dementsprechend neben dem Kulturprogramm SWR2 auch die entsprechenden Sendungen für das Fernsehen und die jeweils dazugehörenden Online- beziehungsweise Drittplattformauftritte aus dem Wissens- und Kulturbereich. Für das Fernsehen sind das im Kulturbereich Sendungen wie „Kunscht“ oder „Lesenswert“ und im  Wissensbereich entsprechend „Odysso“ oder „Wissensdokumentationen“. Außerdem gehören dazu auch noch Bildungsangebote wie zum Beispiel „Planet Schule“.

RADIOSZENE: Mit wie viel Wehmut verlassen Sie DASDING, das Sie ja über lange Jahre entscheidend verantwortet und mitgeprägt haben? 

Dr. Wolfgang Gushurst: Natürlich ist nach der langen Zeit schon etwas Wehmut dabei. Am meisten werde ich sicherlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermissen. Das Programm steht sehr gut da. Es gibt tolle Sendungen, die über die Moderatorenpersönlichkeiten ein jeweils eigenes Profil entwickeln konnten. Besonders über die Musikspezialsendungen konnten wir bei DASDING ein breites musikalisches Profil abbilden und mit einem Interviewformat wie „Song tindern“, das sich vor allem über Bewegtbild vermittelt, haben wir einen neuen Ansatz entwickelt, um einen anderen Aspekt in Künstlerinterviews herauszuarbeiten. Daneben haben wir unsere Aufgabe als junges Programm, das sich intensiv um das Thema Innovation kümmert, viele Akzente setzen können: von technischen Innovationen (beispielsweise mit der Einführung von Visual Radio) bis hin zu inhaltlich innovativen Programmumsetzungen. Es freut mich besonders, dass DASDING gerade dafür im vergangenen Jahr den „Deutschen Radiopreis“ im Bereich Innovation gewinnen konnte. Und nicht zuletzt stimmen die Zahlen. Bei der letzten Media Analyse hatte DASDING die bislang größte Reichweite und eine sehr gute Welle geht mit in die nächste MA. Wir haben steigende Zahlen auf Drittplattformen. Ich gehe also mit einem guten Gefühl. Ich freue mich aber auch sehr auf die neue Aufgabe und die neuen Herausforderungen.  

Consi im Studio (Bild: SWR)
Consi im Studio (Bild: SWR)

RADIOSZENE: Glaubt man dem einen oder anderen Medienforscher sind die Generationen Y und Z längst dem Radio abhanden gekommen. Wie stark haben sich die Nutzungsgewohnheiten  junger Menschen am Radio im Verlauf der letzten Jahre verändert?

Dr. Wolfgang Gushurst: Einerseits haben sich Mediennutzungsgewohnheiten von jungen Menschen sehr stark verändert. Video, Bewegtbild hat eine noch wichtigere Bedeutung als früher. Für ein Radioprogramm bedeutet das, den Ausspielweg Online viel stärker als früher in den Mittelpunkt zu rücken. Dazu gehören auch Drittplattformen und die damit verbundenen Interaktionsmöglichkeiten. Sie bieten sehr viele Chancen zur Hörerbindung. Es heißt aber gleichzeitig, dass auch hier Ressourcen gebraucht werden, um schnell und unmittelbar agieren und reagieren zu können. Positive aber auch negative Publikumsreaktionen erhalten über Drittplattformen eine ganz neue Dynamik.

Andererseits spielt Musik im Radio immer noch eine ganz wichtige Rolle. Musikauswahl, Musikmischung und die Ansprache und Vermittlung ist nach wie vor ein zentrales Element für den Erfolg von Radioprogrammen. Hier hat sich gar nicht so viel verändert. Auch wenn immer wieder gesagt wird, dass die Nutzung von Radio zurückgehen würde: Die Zahlen der letzten Jahre sind nahezu unverändert, was nach wie vor für eine große Attraktivität von Radio spricht. Das gilt bis heute auch für die jüngeren Jahrgänge und Generationen.

RADIOSZENE: Mit welchen Strategien kann das Radio diese jungen Jahrgänge vor dem Hintergrund immer neuer in den Medienmarkt eintretender Mitbewerber wie etwa Spotify & Co. dauerhaft an das Medium binden?   

Dr. Wolfgang Gushurst: Streamingdienste können natürlich auch sehr spezielle musikalische Vorlieben befriedigen, was in einem linearen Radioprogramm, das sich an eine breitere Zielgruppe richtet, natürlich schwieriger ist. Streamingdienste können aber nicht das Radio mit seinen Moderatoren und deren direkter und persönlicher Ansprache und deren regionaler Kompetenz ersetzen. Sie sind nicht erlebbar bei Veranstaltungen wie ein Radioprogramm, das in einer ganz bestimmten Region aktiv ist.

Sich allein darauf auszuruhen reicht natürlich nicht. Die angesprochene Weiterentwicklung von Radiomarken und deren Erlebbarkeit über Onlineauftritte und Drittplattformen spielt eine wichtige Rolle. Man muss hier viel ausprobieren und Angebote schaffen. Über Visual Radio hat DASDING einen Zugang und eine Transparenz bis ins Sendestudio geschaffen. Über diesen Weg werden zusätzliche Informationen verbreitet. Bei YouTube, Facebook oder Instagram werden Themen anders aufbereitet, Veranstaltungen begleitet oder Interaktionsmöglichkeiten geschaffen. Über Snapchat wird ein unterhaltsamer Blick in die Redaktion ermöglicht. Über DASDING vor Ort können regionale Themen für ein junges Publikum innerhalb einer bestimmten Region ausgespielt werden. Es passiert also schon sehr viel.

RADIOSZENE: Wie sehr schlägt die stärker gewordene Zuwanderung junger Menschen aus dem Ausland bereits auf die Programmgestaltung eines Jugendradios nieder?

Dr. Wolfgang Gushurst: Dies hat für DASDING schon immer eine wichtige Rolle gespielt, da besonders in Baden-Württemberg der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund nicht erst seit den großen Flüchtlingswellen vergleichsweise hoch ist. Die beste Strategie ist meiner Meinung nach, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in die Redaktion zu integrieren. Über diesen Weg gelangen Themen authentisch in das Programm. Daneben versucht DASDING über Veranstaltungen breite Publikumsschichten anzusprechen. DASDING führt ja regelmäßig Medienworkshops zur Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen und Jugendzentren durch. Ende des vergangenen Jahres hatten wir zum ersten Mal auch einen Workshop direkt in einer Flüchtlingsunterkunft durchgeführt. Auch dies kann ein Weg sein, um ganz nah an den Bedürfnissen und Themen von Zuwanderern dran zu sein.

RADIOSZENE: Gerade an den derzeit rapide schwindenden Anteilen von beispielsweise Rock sieht man, wie schnelllebig sich die Musikvorlieben verändern. Trügt der Eindruck, dass sich der Musikgeschmack der Jugendlichen immer schneller wandelt und dreht?

 Dr. Wolfgang Gushurst: Die Vielfalt, die ständige Verfügbarkeit und ich glaube auch die die Zahl/Quantität von neuer Musik hat sich in den letzten Jahren noch einmal erhöht. Dies hängt auch damit zusammen, dass es technisch einfacher geworden ist, gut produzierte Musik zu veröffentlichen. Der Vertrieb von Musik ist nicht mehr nur von den großen Musiklabels abhängig. Zudem ist die Kommunikation insgesamt schneller, vielleicht auch ein bisschen oberflächlicher geworden. Trotzdem gibt es meiner Wahrnehmung nach Trends, die sich – in leicht variierter Form – über Jahre halten. Aktuell sind dies weiterhin danceorientierte, elektronische Musikrichtungen. In bestimmten Segmenten spielt Hiphop weiter eine große Rolle. Rockmusik hat in den vergangenen Jahren zu wenig Innovationskraft entwickelt und wurde deshalb weniger relevant. Gesellschaftliche Umbrüche wie wir sie zur Zeit gerade erleben, bieten aber neue Chancen – insbesondere wenn eine junge Generation Antworten auf aktuelle Fragen in der Musik beziehungsweise in deren Texten sucht.

RADIOSZENE: Welchen Stellenwert hat Musik überhaupt noch bei einem Jugendradio? 

Dr. Wolfgang Gushurst: Nach wie vor hat Musik besonders für junge Menschen eine sehr wichtige Bedeutung für die Sozialisation. Nach wie vor ist Musik der Haupteinschaltgrund, um ein Radioprogramm zu hören.

Wenn die Musikauswahl und -mischung nicht stimmt, kann man auch die besten Wortthemen im Programm haben und umsetzen – das Programm wird wahrscheinlich nicht oder nur wenig gehört werden. Insofern hat sich in den letzten Jahren, was den Stellenwert von Musik im Jugendradio angeht, nicht viel verändert.

RADIOSZENE: In den Musik-Charts dominierten im letzten Jahr  Dance-Pop und deutscher HipHop. Wie stark schlagen sich diese Trends bei Ihnen im Programm nieder? 

Dr. Wolfgang Gushurst: Die Musikauswahl bestimmt bei DASDING die Musikredaktion, die mit großer Fachkenntnis und Leidenschaft über neue Musik diskutiert. Was sich in den Verkaufscharts tut, wird beobachtet und registriert. Für die Musikauswahl spielt das aber eher eine untergeordnete Rolle. Streamingzahlen werden dagegen zunehmend wichtiger eingeschätzt, Rückmeldungen, welche Trends in Clubs gerade ankommen, spielen eine Rolle, Musiktiteltests der Redaktion beeinflussen die Musikauswahl und natürlich die Erfahrung und subjektive Einschätzung der einzelnen Musikredakteurinnen und Musikredakteure.

RADIOSZENE: DASDING verfügt zumindest am Abend über eine gute Zahl an Musiksparten-Sendungen. Welche Bedeutung haben die Angebote für den Programmerfolg? 

Dr. Wolfgang Gushurst: Die Spezialmusiksendungen sprechen immer auch nur einen Teil des Publikums an, das am Tag DASDING hört. Eine große Quote kann man nicht damit erreichen. Für DASDING sind solche Spartensendungen aber wichtig. Einerseits aus einem Selbstverständnis heraus, auch Nischenangebote im Programm zu platzieren, um eine größere Vielfalt abzubilden und auch Musik vorzustellen, die einen eigenen Wert/Originalität hat, aber vermutlich nie ein größeres Publikum erreichen kann. Andererseits um frühzeitig Trends in einzelnen Musikrichtungen zu erkennen und somit auch schneller reagieren zu können.

RADIOSZENE: Ihr Programm war in den letzten Jahren auch sehr aktiv bei der Beteiligung an Festivals. Wie wichtig sind diese Events für ein junges Format?

Dr. Wolfgang Gushurst: Festivals sind immer eine gute Gelegenheit Livemusik ins Programm zu holen. Auch für die Daheimgebliebenen konnte man damit die Festivalstimmung transportieren. Allerdings sind die Rechteverhandlungen in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, so dass wir von vielen Bands leider gar nichts senden konnten. Irgendwann stellt sich dann die Frage, wie viel technischen Aufwand betreibt man für wie viele Inhalte …

Daneben kann man über die Präsenz bei Festivals aber auch neue Zielgruppen erschließen und junge Menschen, die bislang noch keinen Kontakt zum Programm hatten, auf die Programminhalte aufmerksam machen.

Wie das mit den Festivals weitergeht muss man sehen. Für die Festivalveranstalter wird es immer schwieriger, wirklich gute Headliner zu finden. Das Publikum erwartet neben den Musikacts zunehmend auch weitere Entertainmentangebote. Sicherheitsfragen spielen eine immer größere Rolle. Und im letzten Jahr gab es durch Unwetter einige Ausfälle und Festivalabbrüche, was auch nicht gerade zu euphorischen Voraussagen für die nächsten Jahre Veranlassung gibt.

RADIOSZENE: Das neue Zauberwort bei der ARD – und im Besonderen auch Ihrem Sender SWR – heißt seit geraumer Zeit Trimedialität – also das Zusammenwachsen von Hörfunk, Fernsehen und Internet. Wie darf man sich das in der Praxis vorstellen?

Dr. Wolfgang Gushurst: Wie bereits angedeutet: die journalistische Themenauswahl und Themenumsetzung, die Musikmischung, das Aufbauen von Moderationspersönlichkeiten und die Erlebbarkeit bei Veranstaltungen ist weiterhin sehr wichtig, um erfolgreich Radio zu machen. Wir befinden uns allerdings in einem Transformationsprozess von der Radiomarke hin zu multimedialen Medienmarken. Neben Audioinhalten wird zunehmend die Bewegtbildumsetzung erwartet.

In der Praxis heißt das zum Beispiel, dass es reine Radiojournalisten immer weniger geben wird. Natürlich wird auch weiterhin wichtig sein, wie man welche Informationen für den Radioausspielweg aufbereitet. Daneben sind aber Kenntnisse wie Social-Media-Ausspielwege funktionieren und wie man Inhalte dafür umsetzt, wichtig. Dazu gehört auch, dass man lernt, was man am besten zu welchem Zeitpunkt postet, der Umgang mit Bewegtbild oder die Wichtigkeit von Metadaten. Die Anpassungsfähigkeit an neue technische oder inhaltliche Möglichkeiten wird entscheidend sein, wie konkurrenzfähig man ist. Was dabei nicht unter die Räder kommen darf, sind die klassischen Anforderungen an Journalisten: Sorgfalt in der Berichterstattung, Recherchekompetenz etc. Die Hörer, User und Zuschauer werden sich für Programmangebote entscheiden, die authentisch und glaubwürdig sind, zu denen sie Vertrauen haben. 

 

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