Popo-File statt Popfile

Bitter Lemmer

Ach ja – die liebe Musikindustrie. Es gebe ja inzwischen soooooo tolle legale Downloadmöglichkeiten im Internet, erzählte der Phonoverband kürzlich der interessierten Öffentlichkeit, da sei es schlicht nicht mehr zu verstehen, daß Musikpiraten weiter ihr Unwesen treiben und Songs übers Kazaa-Netzwerk auf ihre Platten saugen. Liebe Leser, was jetzt folgt ist eine gar staunenswerte G’schicht.

Das Vorzeigeportal der deutschen Tonträgerindustrie ist www.phonoline.de. Geht ruhig drauf und lest, was da steht: „Legale Musikdownloads sind das Geschäftsmodell der Zukunft“, heißt es da. Und weiter: „Mit größter Geschlossenheit steht die gesamte Musikwirtschaft hinter diesem Vertriebsweg“.

Na denn – schauen wir uns an, was die vereinte Kraft der Industrie zustande bringt. Erster Versuch bei www.popfile.de. Es erscheint ein aufgeräumtes Fenster. Rechts unten findet sich eine Suchmaske, die für die Titelsuche da ist. Wir entscheiden uns für eine einfache Aufgabe: Suche nach Grönemeyer im Gesamtbestand. Und siehe da: Es erscheinen tatsächlich zwei Titel: Einer von Karel Gott, ein weiterer von einem gewissen Andreas Wolter. Das war’s. Was lernen wir daraus? Zwei Dinge: Erstens, Grönemeyer hat in seinem früheren Leben Schlager komponiert (denn beide Titel sind von ihm), und zweitens, die eigentlichen Grönemeyer-Hits sind nicht vorhanden. Wir versuchen es mit Chart-aktivem Material und suchen nach Sugarbabes und Usher. Tja – was soll man sagen – weder Usher noch die Sugarbabes haben Titel für Karel Gott geschaffen. Folglich sind sie für Popfile nicht existent, so daß man es besser zu Popo-File umbenennen sollte.

Nachfrage: Ist es allein die Plattenindustie, die für ihre Krise keine Verantwortung trägt? Ich erhalte eine sehr lange und erschöpfende Antwort. Irgendwann passen keine Notizen mehr auf mein Papier. Spieseke macht eindeutig einen besseren Job als seine Auftraggeber.

popfile

Versuchen wir die Alternative, www.eventim-music.de. Suche nach Grönemeyer. Diesmal ist das Resultat identisch mit dem, das wiederum auch auf Usher und die Sugarbabes folgt: Nix da.

Wir staunen also und setzen uns mit einem Mann in Verbindung, den wir derzeit nicht um seinen Job beneiden. Es ist Dr. Hartmut Spieseke, der Pressesprecher des Deutschen Phonoverbandes. Er ist derjenige, der jedes Mal angerufen wird, wenn Journalisten wieder die Unfähigkeit der Plattenindustrie thematisieren, und er wird dafür bezahlt, daß er sich Antworten einfallen läßt, die den groben Unfug seiner Industrie nicht zu schlimm aussehen lassen. Das ist schwierig. Spieseke sagt, Popfile sei eine große Leistung, denn vom Start weg seien dort 250.000 Titel verfügbar gewesen. Das sei eine gewaltige Zahl. Klar sei aber, daß nicht jedes und alles dort auffindbar sei.

Dann verstolpert sich Spieseke für einen Moment. Man möge Karel Gott bitte nicht unterschätzen, meinte er auf Vorhalt des Grönemeyer-Suchergebnisses. Man glaube ja nicht, wie erfolgreich der noch sei. Ich erkundige mich dennoch, ob es sinnvoll sei, wenn die Suche nach Grönemeyer keinen einzigen Grönemeyer-Song erbringe. Spieseke meinte, das liege vermutlich an einem Fehler der Suchfunktion. Ob er sich da sicher sei, möchte ich wissen; ob es nicht vielleicht doch daran liege, daß da schlicht kein Song von Grönemeyer eingestellt sei. Spieseke wollte es nicht ausschließen.

Glashart argumentiert er, wenn es um Vergleiche mit Napster oder den P2P-Netzwerken geht. Wer ohne Erlaubnis der Rechteinhaber Songs vermittelt, habe es nicht besonders schwer, ein umfassendes Angebot zusammenzubekommen. Wer dagegen legal vorgehe, müssen für jeden Download die Rechte erwerben – teuer und aufwendig.

Das Vorgehen der Musikindustrie gegen Downloader verteidigt er kompromißlos. Künstler, die – wie die Ärzte oder Robbie Williams – die Klagen gegen Fans ablehnen, hält Spieseke für undankbar, schließlich habe die Industrie ihren Aufstieg finanziert.

Überhaupt – die Industrie sei zu wenig an den Erlösen aus dem Musikgeschäft beteiligt. Spieseke nennt als Beispiel die Konzerte. Alle Vorstöße, die Konzertveranstalter dazu zu bewegen, den Plattenfirmen Gewinnanteile zu überweisen, seien gescheitert. Nachfrage: Warum sollten die Konzertveranstalter die Plattenfirmen an ihren Erlösen beteiligen? Antwort: Weil die Plattenfirmen die Künstler berühmt und attraktiv machen und damit die Geschäftsgrundlage für Konzerte schaffen würden. Nachfrage: Warum kooperieren die Plattenfirmen nicht mit Veranstaltern und verkaufen z.B. CD’s und Tickets im Paket? Antwort: Das sei zu kompliziert, schon alles Mögliche versucht, etc.

Keineswegs überzeugt ist Spieseke von der Studie der beiden Professoren Felix Oberholzer (Harvard Business School) und Koleman Strumpf (UNC Chapel Hill), zum Download bereit auf http://www.unc.edu/~cigar/. Diese Studie ist von Bedeutung, weil sie zum ersten Mal einen empirisch fundierten Zusammenhang zwischen Downloads und Verkaufszahlen herstellt. Die Berechnungen ergaben, daß ein Zusammenhang zwischen Downloads und CD-Verkäufen fast nicht nachweisbar ist. Bei eher unbekannten Künstlern mit geringen Verkaufszahlen könne es sein, daß auf 5.000 Downloads ein einzelnes Album nicht verkauft werde. Bei bekannten Künstlern ist der Effekt umgekehrt: Je mehr Downloads, desto mehr Verkäufe. Hier überwiegt ein Promotionseffekt im Sinne der Industrie. Die Studie beruht nicht auf Umfragen, sondern auf vollständiger Messung des gesamten Kazaa-Traffics zwischen dem 8. September und dem 31. Dezember 2002. Spieseke bestreitet nicht die Ergebnisse der Studie (womit er sich auch lächerlich machen würde), hält den Zeitraum der Erhebung aber für falsch: Nicht das normale Konsumentenverhalten führe zu den Resultaten, sondern das Weihnachtsgeschäft.

Schließlich die Zusammenarbeit mit den Radios – sehr unerfreulich nennt Spieseke die. Die Radios würden ihren wichtigsten Rohstoff praktisch kostenlos beziehen. Der Promotionseffekt sei zudem begrenzt, weil die meisten Sender eh nur eine begrenzte Auswahl gängiger Poptitel spielen würden. Nachfrage: Ist die Auswahl der Künstler, die von der Industrie ernsthaft gefördert werden, nicht ähnlich beschränkt? Spieseke räumt ein, manche A&R-Manager würden Trends blind kopieren, die Regel sei das aber nicht.


Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de